Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Kommentar: Reform-Evergreen

Politik / 19.05.2025 • 08:55 Uhr

„Wenn in Österreich irgendwo jemand aufsteht und laut erklärt: ‚Eine Verwaltungsreform ist dringend geboten‘, so findet er sicher allgemeine Zustimmung, schon deshalb, weil jeder darunter etwas anderes versteht.“ Diese noch aus der Monarchie stammende Analyse eines Experten ist nach über hundert Jahren nach wie vor zutreffend. Verwaltungsreform ist ein Evergreen aller Regierungsprogramme. Mit ihr will man zwei Fliegen auf einen Schlag treffen: Verbesserungen und Einsparungen. Das ist allerdings nicht immer deckungsgleich, ja mitunter gegensätzlich.

Dass die Verwaltung effizienter arbeitet als früher lässt sich bei einem Blick in die Amtsstuben leicht erkennen. Der Einsatz von EDV beispielsweise im Rechnungswesen hat viele personalintensive Arbeiten überflüssig gemacht und alle, die beim Finanzamt eine Arbeitnehmerveranlagung durchführen lassen, erinnern sich vielleicht noch an den früheren Papierkrieg. Viele behördliche Erledigungen sind inzwischen gut strukturiert und über das Internet abrufbar. Dass man dabei nicht jene zurücklässt, die mit einer Behörde nicht auf diesem Wege kommunizieren können, bleibt eine Herausforderung. Vorbei sind auch die Anfangsjahre, in denen jede Gebietskörperschaft eigene EDV-Anwendungen entwickelt und teuer bezahlt hat. Hier wurden durch intensive Zusammenarbeit inzwischen erhebliche Einsparungen lukriert. Bei der Frage, WIE die Verwaltung arbeitet, kann sich Österreich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen.

Anders sieht es bei der Frage aus, WORAN die Verwaltung arbeitet. Der Erfindungsreichtum, was alles geregelt und dann auch streng kontrolliert werden sollte, ist offenkundig unbegrenzt. Und da gibt es eben viele gegensätzliche Interessen. Den einen sind die Vorschriften beispielsweise im Umweltbereich oder beim Arbeitnehmerschutz immer noch viel zu lax, andere wiederum fühlen sich als in der Flut von Regelungen Ertrinkende. Die Einstellung „koste, was es wolle“ richtet nicht nur bei den Staatsfinanzen, sondern auch bei den Verwaltungskosten große Schäden an. Natürlich könnte die Verwaltung in vielen Bereichen kostengünstiger und schneller arbeiten, wenn man ihr mehr Freiheit und eigenverantwortlichen Hausverstand ließe. Die Grenzen, wo sich dann aber Betroffene einer „Beamtenwillkür“ ausgesetzt fühlen und nach genauen gesetzlichen Regelungen oder Rechtsansprüchen rufen, sind aber fließend. Um Antworten auf solche Konflikte kommt die Politik nicht herum, sie sind eigentlich der Kern von Verwaltungsreform.

Ein Evergreen der Verwaltungsreform ist in Österreich auch der Sündenbock „Föderalismus“. Für jene, die daran glauben, dass seine Zurückdrängung und weitgehende Vereinheitlichung wie von Zauberhand die Verwaltungskosten senken würde, eine kleine Frage zum Nachdenken: Warum sind sie in Deutschland, besonders deutlich aber in der sehr kleinteilig organisierten und von Vielfalt geprägten Schweiz, niedriger als bei uns?

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.