Alltägliche Gewalt gegen Frauen: “Eng mit patriarchalen Strukturen verwoben”

Es beginne oft schleichend, warnt die Leiterin des Vorarlberger Gewaltschutzzentrums. Zahl der Betretungsverbote steigt.
Schwarzach, Wien Erniedrigt, belästigt, geschlagen, missbraucht, ermordet. Gewalt an Frauen ist in Österreich alltäglich. Im schlimmsten Fall gipfelt sie im Tod der Betroffenen. Heuer zählt der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser sieben Femizide, also die vorsätzliche Tötung von Frauen oder Mädchen durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts. Es gab 16 mutmaßliche Mordversuche oder Fälle schwerer Gewalt gegen Frauen. Dass die Lage ernst ist, unterstreicht auch Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner. Die Bundesregierung will mit einem Aktionsplan gegensteuern. Auch in Vorarlberg sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. „Gewalt gegen Frauen ist eng mit den Strukturen der patriarchalen Gesellschaft verwoben“, betont Angelika Wehinger, Geschäftsführerin des Vorarlberger Gewaltschutzzentrums.
Tendenz steigend
Die Polizei kann ein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen Gefährder aussprechen. Dann muss er die Wohnung verlassen und darf sie für zwei Wochen nicht betreten. Außerdem ist es ihm untersagt, sich der betroffenen Person in einem Umkreis von hundert Metern zu nähern. Die Tendenz ist steigend, wie Zahlen von Gewaltschutzzentrum und Landespolizeidirektion zeigen. Bis Ende April hat die Polizei 166 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen, im selben Zeitraum 2024 wiederum 151. Im gesamten Jahr 2024 waren es 540, 2023 insgesamt 502. „Das heißt, auch in Vorarlberg muss die Polizei durchschnittlich teilweise mehr als einmal pro Tag wegen häuslicher Gewalt einschreiten“, sagt Wehinger. Im häuslichen Bereich beziehungsweise im Beziehungskontext seien überproportional Frauen als Opfer betroffen, Männer die Täter.

Auch die Zahl jener Menschen, die sich für Unterstützung und Beratung an das Gewaltschutzzentrum gewandt haben, ist gestiegen. Heuer waren es bis Ende April 285, im Vergleichszeitraum des Vorjahres 270. „Dazu kommen auch noch die gewaltbetroffenen Personen, die schon davor mit dem Gewaltschutzzentrum in Kontakt waren und deren Gefährdungssituation auch im neuen Jahr weitergegangen ist.“
“Vertrauen in sich selbst verloren”
Die Leiterin des Gewaltschutzzentrums gibt zu bedenken: „Häufig suchen Betroffene erst dann Hilfe, wenn die Situation bereits eskaliert ist und es zu körperlicher oder sexueller Gewalt gekommen ist.“ Es beginne aber in vielen Fällen schleichend, mit Kontrolle, Eifersucht, Beschimpfungen oder Herabwürdigungen.
Oft wandten sich Betroffene an das Gewaltschutzzentrum, um sich über rechtliche Möglichkeiten und konkrete Handlungsschritte zu informieren. „Viele Frauen haben in einer Gewaltbeziehung das Vertrauen in sich selbst verloren. Wir unterstützen sie dabei, neue Perspektiven zu entwickeln und ermutigen sie dabei, wieder eigene Entscheidungen zu treffen.“ Mit ihnen werde ein individueller Schutz- und Sicherheitsplan erarbeitet, zudem erhielten sie Unterstützung bezüglich der Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes. In einer akuten Bedrohungssituation solle jedenfalls der Polizeinotruf gewählt werden, betont Wehinger.

Neue Maßnahmen
Ziel des Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an Frauen (NAP) der Bundesregierung ist es nun, neue Maßnahmen zur Gewaltprävention anzustoßen. Am Dienstag war der Auftakt in Wien. Acht Arbeitsgruppen werden eingerichtet, die jeweils von einem Ministerium geleitet werden. Es geht etwa um Gewaltfreiheit im Bildungsbereich, im Arbeitsumfeld, im öffentlichen Raum, im digitalen Kontext, Prävention oder Früherkennung im Gesundheitswesen. Bis Herbst sollen Vorschläge vorliegen, der NAP bis Jahresende fertiggestellt werden. Holzleitner spricht von einem „feministischen Schulterschluss für ein Österreich ohne Gewalt.“