Kommentar: Freigesprochen, nicht freigesprochen von sich selbst

„Wir haben ein systemisches Problem, dass viel zu lange, viel zu oft, viel zu intensiv ermittelt wird, obwohl von Anfang an keine Substanz da war. Alles wird aufgeblasen wie ein Heißluftballon.“ (Sebastian Kurz, Kronen Zeitung, Mai 2025)
Sätze wie dieser sind es, die zeigen, dass es dem einst jüngsten Kanzler Europas nicht an Chuzpe fehlt, nur leider oft an Einsicht. Oder, wie Karl Kraus sagte: „Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben. Man muss ihn auch ausdrücken können.“ Wobei man Sebastian Kurz eines nicht vorwerfen kann: mangelnde Ausdrucksstärke. Nur zielt sie zu oft daneben.
Nun wurde er also in zweiter Instanz rechtskräftig freigesprochen. Und das ist gut so. Der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn er langsam mahlt. Dass sich Sebastian Kurz dabei als Opfer einer überzogenen Justiz stilisiert, mag verständlich sein. Aber es ist unklug, und es ist unangemessen für jemanden, der die politische Verantwortung eines Landes getragen hat. Wer als ehemaliger Kanzler der Republik derart fundamental an der Objektivität der Justiz rüttelt, spricht nicht über sich, sondern gegen den Staat.
Ich habe nie ganz verstanden, warum Kurz im parlamentarischen Untersuchungsausschuss damals derart herumeierte. Wäre er klarer, präziser, ehrlicher aufgetreten, hätte er die vergangenen Jahre ohne dieses Verfahren hinter sich bringen können. Aber vielleicht liegt genau darin das Problem: Wer sich jahrelang angewöhnt hat, in Halbsätzen und Andeutungen, in PR-Nebelgranaten und Message Control zu kommunizieren, kann nicht plötzlich zur Transparenz übergehen.
Dabei war er doch einmal ein Hoffnungsträger und mehr als das. Als 23-jähriger Staatssekretär trat er schnell auf wie ein Politiker aus der Zukunft. Ich war unter denen, die das beeindruckte. Und ja, das wurde mir auch vorgeworfen. Zurecht? Nein. Positive Erwartungen in das Personal dieser Republik zu legen, ist für Journalisten kein Makel, sondern sogar geboten. Allerdings: Kaum war Kurz an der Macht, wurde aus der Hoffnung Opportunismus. Seine außenpolitische Bilanz? Die große Migrationspolitik war reine Rhetorik, die praktische Umsetzung blieb überschaubar. Angela Merkel hat er eher behindert als ergänzt. Im Gesundheitswesen wollte er sparen, die Kosten sind gestiegen. In der Corona-Krise? Anfangs energisch, sogar vorbildlich. Dann, als die Widerstände kamen, wiederum opportunistisch – ein Muster. Die Wirtschaftsdaten unter seinem Nachfolger, der letztlich sein Produkt ist, sind verheerend. Österreich: Schlusslicht der EU in Wachstum, Beschäftigung, Produktivität. Das ist, nüchtern betrachtet, das Erbe von Sebastian Kurz.
Was bleibt also? Ein blendender Auftritt, ein etwas verbissenes Dauerlächeln, das gelegentlich zur Karikatur gerät. Und ein Instagram-Kanal, der verzweifelt nach Relevanz sucht: Welcher Manager, welcher Ex-Kanzler postet derart pausenlos Bilder von Geschäftsreisen, Babyfotos, Schnappschüsse vom Kuscheln mit Jared Kushner? Die Selbstinszenierung kennt keine Pause und keine Mitte.
Ob er wieder in die Politik zurückkehren will? Wahrscheinlich. Ob er sollte? Das ist eine andere Frage. Denn zwischen Justizkritik, Insta-Selbstverliebtheit und der Verehrung für Orban, Trump, Netanyahu und arabische Potentaten bleibt wenig Platz für die nüchterne, verantwortungsvolle Politik, die Österreich bräuchte. Die große Frage lautet nicht, ob Sebastian Kurz zurückkommt. Sondern ob wir das noch einmal brauchen.