Kommentar: Wir Raunzer
Der frühere Bundeskanzler Raab nannte das Raunzen eine unserer hervorstechendsten Nationaleigenschaften. Und der Herr Karl von Helmut Qualtinger: “I bin eigentlich immer unzufrieden. Wenn’s mir schlecht geht, raunz i, und wenn’s mir gut geht, wart’ i bis es wieder schlechter wird.“ Dieser Befund wird auch statistisch untermauert. Laut Gallup-Studie von heuer sind nur 46 Prozent der Beschäftigten zufrieden und zuversichtlich. Österreich liegt damit im europäischen Vergleich auf Platz 20. Beim Gesundheitssystem, eines der besten, wenngleich teuersten in Europa und durch viel Bürokratie belastet, fühlen sich besonders junge Menschen schlecht versorgt. In dieser Altersgruppe („Generation Z“) leiden 50 Prozent unter Müdigkeit oder Erschöpfung, 36 Prozent unter Zukunftsängsten (Quelle: Austrian Health Report 2023, IFES). Ländliche Bewohner sind zufriedener mit der Wohnqualität, städtische Regionen unzufriedener, besonders in Wien. Die westlichen Bundesländer weisen die höchste Arbeitszufriedenheit auf (Salzburg 60 %, Tirol 59 %, Vorarlberg 58 %). Im übrigen Österreich ist sie deutlich niedriger. Quer durchs Land überwiegt ein Vertrauensverlust in die Politik und die Wahrnehmung von Korruption. Trotz hohem Lebensstandard beklagen viele Österreicher die steigenden Kaufkraftverluste durch Inflation, hohe Mieten und steigende Grundkosten.
Hält dieses Urteil der Realität stand? Nein, sagt eines der weltweit führenden Analyse-Institute, VisualCapitalist, mit Sitz in Kanada, dessen Recherchen von vielen großen Medien laufend übernommen werden. Es hat 30 europäische Länder nach Haushaltseinkommen untersucht. Spitzenreiter ist die Schweiz, gefolgt von Island, Niederlande und Norwegen. Knapp dahinter Österreich. Wenn man die Einkommen dazu mit den Lebenshaltungskosten vergleicht, also wie viel man sich mit seinem Einkommen leisten kann, dann sieht die Sache noch besser aus. Österreich rangiert vor den meisten EU-Staaten, nur hinter der Schweiz und Luxemburg, und ist besser dran als Deutschland, Frankreich und Spanien. Es steht um Häuser besser als das von manchen heimischen Politikern hofierte Ungarn. Die Studie kommt zum Schluss: „Österreich zeichnet sich durch ein überdurchschnittlich hohes Einkommen im EU-Vergleich aus, das kombiniert mit einem moderat hohen Preisniveau eine robuste Kaufkraft ermöglicht. Der Beitrag durch Sozialleistungen ist signifikant und stärkt die finanzielle Lage von Haushalten.“ Ähnlich auch andere seriöse Statistiken. In puncto Lebensqualität liege Österreich sowohl im EU- als auch im OECD-Vergleich ganz vorne. Natürlich gibt es die zu kurz Gekommenen, gibt es Menschen, die an der Armutsgrenze leben und die mit Grund unzufrieden sind. Die meine ich nicht. Ich meine die Raunzer, Suderer und Nörgler, die, obwohl uns die letzten Regierungen mit Wohltaten überreichlich beschenkt haben, notorisch meckern. Ich meine jene, die nicht kapieren, dass wir von unserer Vollkasko-Mentalität herunterkommen müssen, weil die Wohltaten in dieser Höhe nicht mehr finanzierbar sind.
Interessant ist, dass das von vielen Schriftstellern apostrophierte Raunzertum (von Karl Kraus, Alfred Polgar bis Robert Menasse) stark auf Wien bezogen ist. Der Wiener Mundart-Dichter Josef Weinheber: „War’ net Wien, wann net durt, wo ka Gfrett is, ans wurdt. Denn das Gfrett ohne Grund, gibt uns Kern, halt uns gsund.“ Wenn ich mir manche Leserbriefe in diesem Blatt anschaue, habe ich das Gefühl: So viel trennt uns Vorarlberger von den Wienern gar nicht.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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