Kommentar: Das Problem ist die Mitte
Mehr politische Mitte als in den USA gibt es nicht – hat man lange geglaubt. Inzwischen hat Donald Trump die Republikaner mit Hilfe seiner in sozialen Medien verbreiteten Hetze und glatten Lügen gekapert und aus ihr eine unterwürfige Führerpartei mit neoliberalen und rechtsextremen Positionen gemacht. Seither erlebt das Land eine Polarisierung, wie sie zuvor undenkbar schien.
Ähnliche Phänomene gibt es auch in Europa. In Italien stellt die Nachfolgepartei von Benito Mussolinis Faschisten die Ministerpräsidentin, in Ungarn hat eine ehemals bürgerlich liberale Partei den Staat im autoritären Sinn umgebaut. In Polen und anderen Ländern schaut es nicht viel besser aus.
Die von den Rechtsparteien angebotene und von einigen konservativen Parteien teilweise übernommene ideologische Mixtur mit Elementen von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Antifeminismus erinnert an die Dreißigerjahre. Wohin das geführt hat, wissen wir.
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer spricht schon lange von einem „entsicherten Bürgertum“ und einer „rohen Bürgerlichkeit“. Das Problem sind demnach nicht die gesellschaftlichen und politischen Ränder, sondern die Mitte, die in einer unsicher gewordenen Welt Halt sucht. Dort gibt es eine Verklärung der Vergangenheit und eine Sehnsucht nach Sicherheit – fernab von Wirtschaftskrisen, Pandemien, einem Krieg vor der Haustür, der immer deutlicher spürbaren Klimakrise usw.
Liberale, Linke und gemäßigte Konservative stehen vor diesem Phänomen wie das Kaninchen vor der Schlange. In Deutschland und Österreich versuchen die konservativen Parteien, den Aufstieg der extremen Rechten durch die Adaptierung ihrer Parolen zu stoppen. Doch die Übernahme rechter Rhetorik wirkt eher als Brandbeschleuniger denn als Feuerlöscher.
Dass die ÖVP die in Teilen rechtsextreme FPÖ zur Kanzlerpartei machen wollte und das an Kickl und nicht an einem Aufschrei in der ÖVP scheiterte, sei hier nur am Rande erwähnt. Die FPÖ regiert inzwischen in fünf Landesregierungen mit der ÖVP und stellt in der Steiermark sogar den Landeshauptmann. In Deutschland nähert sich die CDU/CSU inhaltlich immer mehr der AfD und lehnte zuletzt eine Verfassungsrichterin ab, weil diese für ein liberales Abtreibungsgesetz eintritt.
Staaten sind immer dann stabil, wenn sie Sicherheit, Bildungsgerechtigkeit und soziale Integration anstreben. Wenn auch bei schwierigen Themen wie Zuwanderung, dem Kampf gegen die Klimakrise oder für soziale Gerechtigkeit ein offener Dialog geführt wird. Dieser Dialog ist aber nur dann möglich, wenn es Regulierungsmaßnahmen für jene „asozialen Medien“ gibt, die unsere Gesellschaft mit Falschmeldungen und Hetze vergiften. Die sich selbst in der „Mitte“ verortenden Parteien sind diesbezüglich in der Pflicht!
Harald Walser ist Historiker, ehemaliger Abgeordneter zum Nationalrat (Die Grünen) und AHS-Direktor.
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