Kommentar: Vorarlberger Bettenturmdenken
Hohenems warf alles in die Waagschale. Bürgerinitiative, Politiker der Opposition und der Bürgermeisterpartei, der Bürgermeister selbst, mehrere seiner Amtsvorgänger, externe Mediziner – alle kämpften umsonst. Im Jahr 2007 schloss die Geburtenstation am Landeskrankenhaus Hohenems. Nun wiederholt sich die Geschichte andernorts. Bürgermeister wollen um ihre Geburtenstation kämpfen und liefern damit eine Antwort auf die Frage, weshalb sich Politik so selten an größere Reformen wagt.
Reformen sind unpopulär und schwer zu verkaufen. Martina Rüscher kann ein Lied davon singen. Sie hat sich zwei äußerst sensible Bereiche ausgesucht. Im Sozialbereich möchte sie mehr Gestaltungsmacht ins Landhaus holen – zum Ärger der gut vernetzten und lauten Sozialinstitutionen. Im Gesundheitsbereich steht eine Spitalsreform an. Anfang April sagte sie im VN-Interview: “Das wird richtig viel Wirbel geben, aber wir werden das durchziehen.” Der Wirbel ist da.
Wieder sind es die Geburten. 2024 kamen in Bregenz 1109 Kinder auf die Welt, in Feldkirch gab es 984 Geburten, in Bludenz 443. Heuer im ersten Halbjahr zählte Bludenz 161 Geburten, Feldkirch 467, Bregenz 536. Dass die Bludenzer Entbindungen zukünftig in Feldkirch durchgeführt werden, scheint allein mit Blick auf die Zahlen logisch. Höhere Fallzahlen bringen mehr Routine und damit bessere medizinische Versorgung – also bessere Qualität.
In den Rathäusern sieht man es anders. Rüschers ÖVP-Kollege, der Bludenzer Bürgermeister Simon Tschann, wehrt sich mit Händen und Füßen. In Bregenz kündigte SPÖ-Bürgermeister Michael Ritsch vorsorglich Protest an. Und sein Dornbirner Amts- und Parteikollege Markus Fäßler möchte nicht nur alle Abteilungen, sondern freilich das ganze Stadtkrankenhaus behalten. Aus dem Kirchturmdenken ist ein Bettenturmdenken geworden.
Die Macht des Faktischen wird die Protestrufe der Bürgermeister im Landhausnirwana wohl verhallen lassen. Die sieben Spitalstandorte im Land kosten 700 Millionen Euro. Abzüglich Einnahmen bleibt ein Budgetloch von 340 Millionen Euro. 60 Prozent davon zahlt das Land, 40 Prozent die Gemeinden. Die Kommunen stöhnen unter der finanziellen Last. 65 Prozent der Ausgaben können Gemeinden nicht beeinflussen. Fast die Hälfte aller Gemeinden kann nicht einmal mehr ihre laufenden Kosten decken. Einer der Gründe: Die Kosten für Sozialfonds und Gesundheitsfonds schießen in die Höhe. Verwunderlich, dass sich die Kommunen gegen die Reform stellen; zumindest in ihren Krankenhäusern. Not in my backyard, würden die Briten sagen.
Die Landespolitik darf sich allerdings nicht zu sehr über die Ängste und Sorgen der Bürgermeister mokieren. Zu oft hören wir Querschüsse aus dem Landhaus, wenn in Wien über Zentralisierung diskutiert wird. Die ÖGK lässt grüßen.
Eines darf die Politik in ihrem internen Kräftemessen nicht vergessen: Es geht nicht um sie. Es geht um Bürger. Sie sind es, die die Spitalstruktur mit ihrem Steuergeld bezahlen. Bindet sie ein, nehmt sie mit. Das beginnt schon bei der Kommunikation: Wer hat für eine Strukturänderung den verwirrenden Begriff “Spitalscampus” auserkoren? Nennt das Kind beim Namen: Reform, Änderung, Zusammenlegung, Spezialisierung, Schließung. Transparenz ist gefragt, keine Verschleierungswortwahl.
Wie vor fast 20 Jahren in Hohenems. Seitdem müssen Hohenemserinnen zehn bis 15 Minuten Autofahrt ins Dornbirner Spital in Kauf nehmen. Sie haben es längst akzeptiert.
Kommentar