Gericht entscheidet über 400-Millionen-Projekt der Illwerke-VKW

Eine Lochauer Gruppe bringt den UVP-Feststellungsbescheid zur Erneuerung der Herbertinger-Leitung vor den Verwaltungsgerichtshof. Man habe die Alternativen nicht geprüft, lautet die Kritik.
Bregenz, Lochau Prägendes Element im Rheintal ist zweifelsohne der namensgebende Fluss. Der Mensch hat das Erscheinungsbild des Tals allerdings stark beeinflusst; nicht nur durch die Veränderung des Rheinverlaufs. Eine Autobahn mäandert durchs Tal, teilweise Seite an Seite mit Stromleitungen. Zwei davon transportieren Strom vom Süden des Landes bis an die Grenze im Norden. Eine der beiden Leitungen ist mittlerweile fast 100 Jahre alt, weshalb die Illwerke-VKW planen, sie zu erneuern – eine Mammutaufgabe mit Tücken, vor allem was die Verfahren betrifft. Schon jetzt beschäftigen sich die Gerichte damit.
Dafür ist eine Gruppe aus Lochau verantwortlich. Sie hat gegen den UVP-Feststellungsbescheid beim Landesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt. Die UVP-Behörde im Landhaus hatte entschieden, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig sei, da es sich nicht um einen Neubau handelt. Das Landesverwaltungsgericht gab dem Land recht, nun liegt der Fall beim Verwaltungsgerichtshof.
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Die Stromleitung trägt den Namen „Herbertinger Leitung“, benannt nach dem deutschen Zielort. Die Leitung dient dem Stromfernverkehr. Sie transportiert deutschen Strom zu Vorarlbergs Pumpspeicherkraftwerken, um Wasser nach oben zu pumpen – und bringt zu Spitzenzeiten den lukrativen Strom zurück nach Deutschland. Für die Stromversorgung im Land spielt sie keine Rolle, ausgenommen im Blackout-Fall. Für den Konzerngewinn ist die Leitung hingegen essenziell.
Die Leitung wurde zwischen 1924 und 1928 erbaut. Sie verläuft über 70,9 Kilometer durch 20 Gemeinden im Land. Insgesamt sind 259 Strommasten notwendig, die auf Grundstücken von 442 verschiedenen Eigentümern stehen. 2617 Grundstücke mit 2038 Eigentümern sind betroffen. Die Masten sind im Durchschnitt 43 Meter hoch, der höchste steht beim Güterbahnhof in Wolfurt und misst 75 Meter. Jeder Mast muss abgebaut werden. Das Fundament wird entfernt, neu gegossen und darauf ein neuer Mast errichtet. Anschließend wird eine neue Leitung verlegt. Die Illwerke-VKW rechnen mit einer Bauzeit von zwei Jahren, im Idealfall könnten sie 2027 damit beginnen. Doch darüber stehen noch einige Fragezeichen.

Für den renommierten Wiener Umweltanwalt und Universitätsprofessor Wolfgang List steht fest: Wenn das Fundament abgetragen und alles neu errichtet wird, handelt es sich um einen Neubau, der einer UVP unterzogen werden muss. So argumentiert er in der Beschwerde für die Gruppe aus Lochau. Matthias Fritton ist Teil dieser Gruppe. Er betont im Gespräch mit den VN: Ein UVP-Verfahren sei wichtig, um dem Land Zeit zu verschaffen, Alternativen zu prüfen. Denn in Lochau verläuft die Leitung durch Wohngebiete, teilweise nur 20 bis 30 Meter von einer Siedlung entfernt. Man könne die Leitung auch durch den Pfändertunnel führen – ähnlich wie im Gotthardtunnel in der Schweiz. „Wir haben dem Land angeboten, die Klage zurückzuziehen, wenn Alternativen zumindest ernsthaft geprüft werden“, betont Fritton. Das sei jedoch nicht geschehen.
Trotz der Beschwerde läuft die Planung weiter. Christof Burtscher, Projektleiter bei den Illwerke-VKW, erläutert im Gespräch mit den VN: „Dieses Verfahren hat zum Glück keine aufschiebende Wirkung.“ Sein Aktenstapel wächst stetig. In den kommenden Wochen werden zahlreiche Verfahren eingereicht: etwa Naturschutz, Forst, Luftfahrt, Starkstromwegegesetz. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, bei der die Verfahren gebündelt wurden, hat alle Hände voll zu tun. Und jedes Verfahren birgt das Risiko weiterer Einsprüche.

Ein Knackpunkt sind die magnetischen Felder, gemessen in Mikrotesla. Kurz zusammengefasst: Während sich die Illwerke-VKW an den offiziellen Grenzwerten orientieren, beruft sich die Gruppe aus Lochau auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und auf Regeln in anderen Ländern. In Bayern etwa würde die Leitung in dieser Form wohl nicht gebaut werden, ist Fritton überzeugt. Dort gilt ein Mindestabstand von 400 Metern zu Wohngebieten – mit Ausnahmemöglichkeiten wenn es keine Alternativen gibt. Christof Burtscher von den Illwerke-VKW entgegnet, dass man deutlich unter den Grenzwerten liege und die neue Leitung die Werte noch weiter senke, da sie höher gebaut werde: „Derzeit beträgt die Spannung im theoretischen Maximalfall 36 Mikrotesla, beim neuen Projekt wird der Wert halbiert.” Im Normalbetrieb liege sie aber bei zwei Mikrotesla. Die Gruppe wiederum maß in der Wohnanlage Hoferfeld in Lochau teilweise über zwei Mikrotesla – was laut Untersuchungen, aus denen die Lochauer zitieren, eine extreme Belastung darstelle. Fritton zitiert auch aus einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes, demnach eine Gefährdung für eine seltene Art der Kinder-Leukämie bei 0,3 bis 0,4 Mikrotesla nicht ausgeschlossen werden kann. Die Schweiz hat deshalb einen Anlagegrenzwert in der Nähe von Wohnungen und Häuser von einem Mikrotesla eingeführt. Mitglied der Lochauer Gruppe ist übrigens Andreas Chemelli, gebürtiger Lochauer, der mittlerweile als Primar die Radiologie in Baden leitet.
400 Mio. Euro soll die neue Leitung kosten. Damit der Plan eingehalten wird, werben die Illwerke-VKW vehement für das Projekt. Sieben Infomärkte mit den Grundstückseigentümern wurden abgehalten. In allen Regionen stehen Standortkoordinatoren als Bindeglied zwischen Bevölkerung und Unternehmen zur Verfügung. Alle Grundstückseigentümer erhalten für die Unannehmlichkeiten während der Bauzeit eine freiwillige Entschädigung, betont Burtscher. 90 Prozent der betroffenen Flächen sind landwirtschaftlich genutzt.
In Lochau hat die Kommunikation nicht funktioniert. Die Gruppe verteilte 1500 Flugblätter und sammelte damit 400 Unterschriften, die der Gemeinde übergeben wurden. Fritton hofft, doch noch etwas zu bewirken. Er betont, nicht grundsätzlich gegen das Projekt zu sein. Man müsse aber ernsthaft Alternativen prüfen – in Lochau gebe es genug davon.