Das seltsamste Teilchen der Welt

Kultur / 14.11.2025 • 13:22 Uhr
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HanserDer Autor des Buches ist einer der anerkanntesten Vertreter der Neutrino-Astrophysik.

Christian Spiering begibt sich in seinem Buch auf die Jagd nach dem Neutrino.

München Es gibt in der Physik Teilchen, die man sehen, messen und in Diagrammen abbilden kann – und es gibt das Neutrino. Ein winziger, fast ungreifbarer Bote des Universums, der unablässig durch uns hindurchfliegt, ohne eine Spur zu hinterlassen. „Geisterteilchen“ nennen es die Physiker. In seinem Buch Das seltsamste Teilchen der Welt widmet sich Christian Spiering, einer der Pioniere der Neutrino-Astrophysik, diesem schillernden Protagonisten der modernen Wissenschaft – und entfaltet eine Geschichte, die zwischen genialen Entdeckungen, politischen Verwerfungen und existenzieller Neugier oszilliert.

Spiering, Jahrgang 1948, war über Jahrzehnte leitend am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) tätig und Mitbegründer des „Global Neutrino Network“. In klarer, schnörkelloser Sprache erzählt er von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, deren Leben untrennbar mit der Erforschung des Neutrinos verbunden sind. Lise Meitner, die als erste Heldin dieses Buches im Berlin der 1920er Jahre Bahnbrechendes misst, bevor sie vor den Nationalsozialisten fliehen muss; Wolfgang Pauli, der 1930 die Existenz eines „seltsamen“ Teilchens postuliert, um eine Lücke in der Physik zu schließen; Fred Reines, der das Neutrino 1956 experimentell nachweist und zugleich an der Atombombe arbeitet.

Spiering zeichnet diese Figuren nicht als entrückte Genies, sondern als Menschen, die in den Strömungen ihrer Zeit schwimmen und auch manchmal gegen sie. Er erinnert an Bruno Pontecorvo, den kommunistischen Physiker, der im Kalten Krieg in den Osten überlief und in einem „goldenen Käfig“ landete, und an Masatoshi Koshiba, der 1987 mit der Beobachtung von Neutrinos aus einer Supernova endgültig bewies, dass die „Geisterteilchen“ Botschaften aus den verborgensten Winkeln des Kosmos tragen.

Das Buch ist keine trockene Chronik der Entdeckungen, sondern eine erzählerische Annäherung an das Staunen selbst. Spiering versteht es, das wissenschaftliche Abenteuer als menschliches zu zeigen: als Suche, Irrtum, Risiko. Er beschreibt, wie sich aus Messungen, Hypothesen und Zufällen eine Erkenntnis formt, die unser Bild vom Universum grundlegend verändert. Dabei gelingt ihm die seltene Balance zwischen wissenschaftlicher Präzision und literarischer Anschaulichkeit.

“Das seltsamste Teilchen der Welt” ist eine Reise durch ein Jahrhundert physikalischer Forschung und zugleich ein stilles Plädoyer für die Neugier. Spiering schreibt über den Kosmos, aber auch über die Menschen, die ihn begreifen wollen. Über die Verknüpfung von Wissenschaft und Politik, von Erkenntnisdrang und moralischer Verantwortung. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Ohne Neutrinos wüssten wir kaum, warum Sterne leuchten und vielleicht gäbe es uns gar nicht. Ein faszinierendes, klug erzähltes Buch über das Unsichtbare, das unser Dasein formt.