Eine mahnende Stimme verstummt: Michael Diettrich verabschiedet sich aus Vorarlberg

Am Freitag feiert Michael Diettrich seinen Abschied als Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz. In Kürze zieht er weg.
Götzis Schon bei seiner Premiere schonte er die Politik nicht. Anfang 2000 tauchte der Name Michael Diettrich erstmals in den VN auf. Ein kritischer Leserbrief als erster Laut einer Stimme für jene Menschen im Land, die keine Stimme haben. Fast 26 Jahre lang stellte er sich auf die Seite der Schwachen, trat als Lobbyist der Armen auf, immer auf Konfrontationskurs mit der Politik. Diese Stimme verstummt in der Öffentlichkeit. Diettrich, heute 70 Jahre alt, verlässt nicht nur die von ihm mitbegründete Vorarlberger Armutskonferenz, sondern auch das Land.




Umzüge sind ihm nicht fremd. “Eigentlich bin ich ja ein Nomade”, erzählt der studierte Historiker, Sportwissenschaftler und Sozialarbeiter. “Ich bin in Gera in Ostdeutschland geboren und dann direkt im Wäschekorb über die Grenze geschmuggelt worden. Das ging 1955 noch.” Über Nürnberg, Wuppertal, Düsseldorf, Köln landete Michael Diettrich irgendwann in Wangen, wo ihm eine Stellenanzeige der Einrichtung ‚die Faehre‘ auffiel. Er bekam den Job und zog 1999 nach Vorarlberg. 2004 wechselte er als Geschäftsführer zur Einrichtung “dowas”, 2011 gründete er mit anderen die Vorarlberger Armutskonferenz. Diettrich erinnert sich: “Damals gab es keine kritische sozialpolitische Stimme im Land. Armut war ein Tabuthema. Das wollten wir ändern. Die Armutskonferenz war ein ganz breites Bündnis.” Das Ansinnen hatte Erfolg: “Es ist uns gelungen, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.”

Besonders erinnert er sich an eine Auseinandersetzung mit der damaligen Landesrätin Greti Schmid. “Unsere Referenzbudgets zeigten, dass Vorarlberger weniger Geld haben, als es die statistischen Zahlen zeigen. Greti Schmid reagierte, wie man das in Vorarlberg immer tut, wenn etwas nicht gut ist: Sie sagte, man müsse das mit anderen Bundesländern vergleichen. Daraufhin habe ich per Aussendung geantwortet: Das ist vollkommen egal, wenn das Geld in Vorarlberg nicht reicht.”




Daraus habe sich ein mediales Duell entwickelt, das die Involvierten bis heute wohl nicht vergessen haben. “Vor zwei Jahren treffe ich zufällig Greti Schmid nach einer Skitour im Silvrettahaus”, schildert Diettrich. “Wir sitzen an der Bar und ich sage: Greti, ich habe dir immer sehr zugesetzt, ich lade dich dafür auf einen Drink ein. Dann antwortet sie: Das reicht nicht. Dafür braucht es mindestens ein Wellnesswochenende.” Diettrich fährt fort: “Politisch hatten wir nicht viel gemeinsam. Aber persönlich bin ich immer mit ihr klargekommen.” Das sei ihm stets wichtig gewesen. “Heute führen unterschiedliche Meinungen oft dazu, dass sich Menschen unversöhnlich gegenüberstehen. Das ist nicht mein Ding.” Deshalb habe er zum Beispiel auch den ehemaligen ÖVP-Landtagsabgeordneten Matthias Kucera zu seinem Abschied eingeladen. “Wir haben immer gut gestritten, aber mit ihm bin ich auch immer klargekommen.”



Noch immer juckt es Diettrich in den Fingern. “Es ist frustrierend, wir erleben ein Rollback in der Sozialpolitik. Momentan läuft so ein Organisationsberaterwischiwaschi, wir hören neoliberales Geplapper. Aber ich habe gesagt, ich ziehe mich zurück”, sagt er, um dann doch loszulegen. “Wenn ich aus dem Land höre, dass die Sozialausgaben in den letzten Jahren derart gewachsen sind, muss ich antworten: Das ist die Unwahrheit. Es stimmt einfach nicht.” Die jetzige Budgeterhöhung sei unter der Inflation. “Wir sprechen also von Kürzungen. Ein Finanzlandesrat sollte das wissen. Und die Institutionen sollen in den Strukturen sparen? Wo Arbeitsbereiche zu 99 Prozent aus Personal bestehen? Am liebsten würde ich sagen: lieber Markus Wallner, so nicht. Aber das mache ich nicht mehr.”
Am Freitag feiert Michael Diettrich seinen Abschied. Die Umzugskartons sind vorbereitet, die Wohnung in Götzis bereits verkauft. Mitte Dezember zieht er mit seiner Frau in ihre Heimat nach Kärnten. Den Campingbus hat er bereits saniert. “Wir werden ein bisschen durch die Gegend fahren”, blickt er voraus. “Und dann schauen wir mal.”



