Kommentar: Im Netz des Mr. Epstein
Donald Trump gefällt das. Er lächelt auf dem Schwarz-Weiß-Foto, inmitten mehrerer Frauen abgebildet, deren Gesichter geschwärzt wurden. Auf einem anderen Bild sieht man den heutigen US-Präsidenten mit Jeffrey Epstein, ein drittes Foto zeigt Trump entspannt mit gelockerter Krawatte neben einer Frau, die ebenfalls unkenntlich gemacht wurde. Diese Bilder aus dem Nachlass des 2019 verstorbenen, verurteilten Sexualstraftäters Epstein wurden am vergangenen Freitag von den Demokraten im US-Repräsentantenhaus veröffentlicht.
Neben Trump sind auf anderen Aufnahmen der frühere US-Präsident Bill Clinton, der einstige Trump-Berater Steve Bannon, Tech-Milliardär Bill Gates, der ehemalige britische Prinz Andrew oder Regisseur Woody Allen zu sehen. Mächtige, prominente Männer, die Kontakt zu dem Sexualverbrecher Epstein pflegten – wo und wann genau die Bilder entstanden, ist noch unbekannt. Ihre Veröffentlichung ist darauf zurückzuführen, dass Donald Trump nach großem Druck im November ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet hatte: Dieses sieht vor, dass das Justizministerium Ermittlungsakten zu dem mysteriösen Fall Epstein freigibt.
Jahrelanges Wegschauen
Jene einflussreichen Männer, die natürlich nichts mehr mit dem überführten Verbrecher zu tun haben wollen, sehen sich heute mit der unangenehmen Frage konfrontiert, warum sie sich damals gerne im Dunstkreis von Mr. Epstein bewegt haben. Der New Yorker Financier und Netzwerker wurde im Juli 2019 festgenommen, er soll minderjährige Mädchen missbraucht, zur Prostitution gezwungen und einen Sexhandelsring betrieben haben. Einen Monat später starb Epstein mit 66 Jahren in seiner Gefängniszelle, laut Obduktionsbericht nahm er sich das Leben. Doch erste Anzeigen von Frauen gab es schon viel früher, Epstein wurde jahrelang nicht juristisch belangt.
2008 ging er einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ein und konnte damit ein Bundesverfahren wegen Missbrauchsanschuldigungen abwenden. Er bekannte sich schuldig und saß ohne Verfahren eine Gefängnisstrafe von 13 Monaten ab. Danach kehrte er in seine Kreise zurück, als wäre nichts gewesen. Damit stellt sich nicht nur die Frage, warum dieser Mann so lange geschützt wurde und wer noch als Mittäter auffliegen könnte. Der Fall Jeffrey Epstein demonstriert, dass für reiche Männer mit hochrangigen Kontakten leider andere Regeln gelten. Man muss kein Kunde seines widerlichen Sexhandelsrings gewesen sein, um sich nicht auch mitschuldig gemacht zu haben: Durch Wegschauen, durch Ignorieren von Alarmzeichen, durch Opportunismus. Darauf steht keine Gefängnisstrafe, aber hoffentlich die öffentliche Ächtung – wenn der Tag der Aufklärung kommt.
Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.
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