Verführung im Paradies

Reise / 27.03.2020 • 10:08 Uhr
Verführung im Paradies

In Papua-Neuguinea leben mindestens 42 Arten von Paradiesvögeln.

Der Ruf des Raggi-Paradiesvogels ist ein Ruf, der sich vom Glucksen, Gurren und Zwitschern des übrigen Regenwaldes unterscheidet. Das langsam ansteigende „Wau-waau-waaauuu“ ist schon von Weitem vernehmbar. An dem Morgen, an dem wir mit Smith Eamkoa und Dennis Katako im undurchdringlichen Dickicht des Regenwalds im äußersten Westen Papua-Neuguineas stehen, dringt es hinunter bis zum Lake Murray. Doch niemand außer uns hört es, denn es gibt weit und breit keine Menschen, die dem unglaublichen Balztanz des Raggi-Paradiesvogels beiwohnen könnten.

Doch fangen wir von vorne an. Wir waren mit einer in die Jahre gekommenen PAC 750 XL vom Hochland Papua-Neuguineas an die weitverzweigten Fjorde des Lake Murray an der Grenze zu Indonesien geflogen. Wir waren bei der Landung auf einer Wiese umringt von Hunderten von Menschen. Und jetzt stehen wir an einem der abgelegensten Orte der Erde und sehen einem Raggi-Paradiesvogel beim Balztanz zu. Das anmutige Ritual in zwei Akten könnte einem Märchen entstammen: 20 Meter über uns hebt und senkt das Männchen zunächst unter lauten Rufen den Kopf, schwenkt seine aprikosenfarbenen Seitenfedern und schlägt mit den halboffenen Flügeln. Kopf, Ohren, Kinn, Kehle, Steuerfedern und Nackengefieder vibrieren. Dann plötzlich erstarrt das Tier und schwenkt nur noch den Kopf. Jetzt kann das Weibchen den Kandidaten in Ruhe in Augenschein nehmen. Hat es das weibliche Tier überzeugt, nähert sich das Männchen und umschirmt das Weibchen mit den Flügeln, um es schließlich zu bespringen. Augenblicke später ist alles vorbei. Seinen Balztanz führt der Raggi-Paradiesvogel ausschließlich im Morgengrauen auf. Die Rufe, die das Männchen von sich gibt, sind noch in einem Kilometer Entfernung zu hören. Wie bei vielen seiner Artgenossen dient der prachtvolle Federschmuck des Raggi-Paradiesvogels vor allem einem Zweck: um Weibchen zu umwerben und die Chance zu steigern, dass seine Merkmale an die Nachkommen weitergegeben werden. Auffälliger, prachtvoller und farbenfroher zu sein als ein Konkurrent, überwiegt die Nachteile, die das Tragen eines bunten Gefieders mit sich bringt – selbst die Tatsache, für Jäger sichtbarer und damit eine leichtere Beute zu sein. Fast eine Stunde beobachten wir den anmutigen Balztanz des Raggi-Paradiesvogels an diesem Morgen. Fast eine Stunde lang herrscht andächtige Stille. Dann flüstert Smith auf Tok Pisin, dem Pidgin-Englisch, das in weiten Teilen Papua-Neuguinea gesprochen wird: „Yu me go“. Lasst uns gehen. Augenblicke später schlängelt sich unsere kleine Gruppe schweigend durch das dichte Buschwerk zurück an den See. Nichts ist zu hören außer dem Rascheln des Laubs unter den Füßen. Doch der eindringliche Ruf des Paradiesvogels hallt in den Ohren noch eine ganze Weile nach.

Touristenzahlen nehmen zu

Unser Aluminium-Dingi wirkt am Lake Murray wie ein Raumschiff. Doch wo wir auch hinkommen: Über unseren Besuch freut sich jeder. Wir schütteln Hunderte Hände. In langen Reihen stehen die Menschen in den Dörfern zur Begrüßung Spalier. Tuschelnde Kinder folgen uns auf Schritt und Tritt. Viele haben noch nie Weiße gesehen. Aber wir werden wohl nicht die letzten sein, denn ein mutiger Australier hat es gewagt, auf einer Insel im See eine Lodge zu errichten. Bob Bates, Inhaber des größten Tourismusunternehmens im Land und Papua-Veteran, hofft zudem auf Vogelliebhaber, denn etwa die Hälfte aller Vogelarten Papua-Neuguineas leben am See, darunter mindestens fünf der 42 bekannten Paradiesvogel-Arten. Bald könnten also schon weitere Touristen den wunderschönen Gesang des Raggi hören.

Die einfachen Holzkanus sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel.Shutterstock (5)
Die einfachen Holzkanus sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel.Shutterstock (5)
In den meisten Teilen Papua-Neuguineas sind die Häuser sehr schlicht gebaut.
In den meisten Teilen Papua-Neuguineas sind die Häuser sehr schlicht gebaut.