„Stolz“ auf die Angriffe der Hamas
Neue Unterstützung für Islamisten durch Spirale der Gewalt; Abbas nur noch Randfigur.
Gaza-Stadt. Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem, arabische Solidarität mit dem Gazastreifen – die neue Gewalt im Nahostkonflikt führt im Autonomiegebiet auch zu Stolz der palästinensischen Zivilbevölkerung auf die militante Hamas. „Ich habe die Hamas nie gemocht, aber ich wünschte mir, ich könnte die Stirn dessen küssen, der die Rakete auf Jerusalem gefeuert hat“, sagt ein 19-jähriger Student aus dem Flüchtlingslager Dschebalija.
Schulterzucken über Abbas
Seit 2007 ist die Hamas im Gazastreifen an der Macht, die sie gewaltsam von der rivalisierenden Fatah des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas übernommen hat. Bis zur am Mittwoch begonnenen israelischen Offensive deutete vieles auf eine schwindende Popularität der Hamas hin: Interne Grabenkämpfe lähmten die Islamisten, und selbst die neue ägyptische Führung, durch die panarabische Muslimbruderschaft mit der Hamas verbunden, weigerte sich, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben.
Doch angesichts der jüngsten Ereignisse ruft der Name Abbas im Gazastreifen nur Schulterzucken oder Verachtung hervor. Abbas versuchte zwar, sich aus dem Westjordanland durch Telefonate mit westlichen Politikern einzumischen – aber ohne greifbaren Erfolg. Soweit bekannt, gelang es Abbas nicht einmal, den Ministerpräsidenten der Hamas, Ismail Hanijeh, zu erreichen. Abbas Bemühungen seien sinnlos, sagt Ahmed Hatum, ein Bewohner von Gaza. Seine Wohnungsfenster sind durch die Luftangriffe geborsten. Wie andere in Gaza verweist er auf zwei Jahrzehnte erfolglose Friedensverhandlungen von Abbas. „Es gibt keine politischen Lösungen mit den Israelis.“ Die neue Kampfrunde habe mit der gezielten Tötung des Hamas-Militärführers Ahmed Dschabari begonnen, sagt Hatum. Die Palästinenser hätten also das Recht, zurückzuschießen, urteilt der 60-Jährige. Die Israelis „verstehen nur die Sprache der Gewalt“.
Der Alltag geht weiter
Trotz fast 70 Toten, geschlossenen Schulen und wenigen Menschen auf den Straßen ist das Alltagsleben im Gazastreifen nicht ganz zum Erliegen gekommen. Am Sonntag, dem Beginn der muslimischen Woche, sollten die öffentlich Angestellten sich zur Arbeit melden. Das Handelsministerium verkündete, weder Benzin noch Nahrungsmittel seien knapp. Manche Geschäfte hatten geöffnet, die Versorgungsroute aus Israel sollte am Sonntag wieder passierbar sein.
Die jahrelang isolierte Hamas freut sich unterdessen über einen noch nie erlebten Strom von arabischen Staatsgästen. Der ägyptische Ministerpräsident Hescham Kandil kam am Freitag, der tunesische Außenminister Rafik Abd as-Salem am Samstag – beide auch auf Druck aus ihren Heimatländern, wo die Muslimbruderschaft durch den Arabischen Frühling an die Macht kam und die Bevölkerung Unterstützung für den Gazastreifen fordert.
Die Arabische Liga will in den kommenden Tagen eine ganze Delegation Außenminister nach Gaza-Stadt schicken.
Es gibt keine politische Lösung. Die Israelis verstehen nur die Sprache der Gewalt.
ein Bewohner von Gaza
Chronologie
Im Jahr 2005 zog sich Israels Armee aus dem seit 1967 besetzten Gazastreifen zurück. 2007 übernahm die radikal-islamische Hamas die Herrschaft über das Gebiet und vertrieb die Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Israel erklärte den Streifen zum „feindlichen Gebiet“.
23. Juli 2002: Bei einem israelischen Raketenangriff werden in Gaza der militante Palästinenserführer Scheich Salah Schehada und 14 weitere Menschen getötet, darunter neun Kinder. Nach israelischen Angaben war er Drahtzieher mehrerer Terroranschläge.
6. März 2003: Mit einem Panzervorstoß gegen das Flüchtlingslager Dschabalia im Gazastreifen reagiert Israel auf einen Terroranschlag in Haifa.
28. August 2003: Israelische Kampfhubschrauber feuern im südlichen Gazastreifen Raketen ab. Dabei wird Hamdi Kadach getötet, der für den Mörserbeschuss israelischer Siedlungen verantwortlich war.
20. Oktober 2003: Bei israelischen Luftangriffen werden mindestens 13 Palästinenser getötet. Einer der Getöteten, Chaled Masri, wird als ein führender Waffenbeschaffer der Hamas bezeichnet.
22. März 2004: Scheich Ahmed Jassin, Gründer und geistlicher Führer der Hamas, wird in Gaza von einer israelischen Rakete getötet.
17. April 2004: Jassins Nachfolger Abd el-Asis Rantisi stirbt in Gaza bei einem israelische Luftangriff.
21. Oktober 2004: Adnan el-Rul, ranghoher Führer des bewaffneten Arms der Hamas, wird in Gaza getötet.
28. Juni 2006: Die israelische Armee rückt zur Befreiung des am 25. Juni verschleppten Soldaten Gilad Schalit in den Gazastreifen ein.
1. November 2006: Die Armee tötet bei Kämpfen von Bodentruppen in Beit Hanun im nördlichen Gazastreifen mindestens 34 Palästinenser.
5. Juli 2007: Israels Armee stößt mit Panzern auf Flüchtlingslager im zentralen Gazastreifen vor.
1. März 2008: Israel startet die Operation „Heißer Winter“. Bei den Kämpfen mit Bodentruppen sterben über 100 Menschen.
27. Dezember 2008: Israel beginnt mit Luftangriffen auf Hamas-Einrichtungen im Gazastreifen, wenige Tage später beginnt die Bodenoffensive „Gegossenes Blei“. Bis zur Waffenruhe am 18. Jänner sterben laut Palästinenser-Angaben mindestens 1310 Palästinenser, die Israelis melden 13 Tote.
9. April 2011: Drei Hamas-Kommandeure werden in Rafah bei einem israelischen Angriff getötet.
9. März 2012: Das israelische Militär tötet bei zwei Luftangriffen im Gazastreifen insgesamt fünf Palästinenser.