Aufbruch mit einem Nicht-Europäer

Theologe Zulehner: Papst aus Asien, Lateinamerika oder Afrika würde Kirche guttun.
Benedikt XVI. sagt, er trete zurück, weil er nicht mehr die nötige Kraft habe, das Kirchenschiff zu steuern. Zweifler wie Pfarrer Schüller meinen, es könnte auch eine Intrige zu diesem Schritt geführt haben.
Zulehner: Pfarrer Schüller sagt selber, dass das eine Mutmaßung ist. Tatsächlich ist der Fantasie weiter Raum gegeben. Aber die wahre Ursache ist sicherlich, dass dem Papst die Kraft ausgegangen ist. Das sieht man ja auch, wenn er auftritt.
Was bleibt vom Pontifikat?
Zulehner: Ganz sicher große Begegnungen. Benedikt XVI. hat dafür gesorgt, dass das gute Verhältnis zwischen den Religionen zum Normalfall geworden ist. Und dass sich alle Menschen zusammentun, die wollen, dass es auf der Welt friedvoll und gerecht zugeht. Weltpolitisch war Benedikt XVI. nicht sehr präsent. So hätte man sich oft gewünscht, dass er sich mehr zu Fragen wie der Wirtschafts- und Finanzkrise äußert. Innerkirchlich steht er für eine Retardierung der konziliaren Entwicklung. Er ist ja einer von denen, die meinen, das Konzil habe die Krise nicht behoben, sondern erst so richtig verursacht. Außerdem hat es der Papst auf sich genommen, Vertreter des rechten Flügels wie die Pius-Brüder an die Kirche zu binden.
Ist ihm das vorzuwerfen?
Zulehner: Nein, es ist ein legitimer Versuch des Papstes, die Einheit der Kirche zu bewahren. Man hätte sich nur wünschen können, dass es auch mit den Reformgruppen, wie der Pfarrerinitiative, zu einem so nachhaltigen und seriösen Dialog kommt. Oder dass Leute wie Leonardo Boff und Hans Küng dafür gewonnen werden, Schritte zurück in die Kirche zu machen.
Ist es realistisch, dass es bis Ostern einen Nachfolger gibt?
Zulehner: Ja. Ich glaube, dass diese Überlegungen nicht erst mit dem angekündigten Rücktritt von Benedikt XVI. beginnen.
Wer hat die besten Chancen?
Zulehner: Ich gehe davon aus, dass sich diese Frage anders herum stellen wird. Kardinal Schönborn hat erklärt, die Kardinäle träfen sich schon vor dem Konklave mehrere Male. Das wäre eine Möglichkeit für eine Bestandsaufnahme über die Lage der Kirche: Was steht an? Was ist notwendig? Am Schluss hätte man einen Aufgabenkatalog und könnte eine geeignete Person dafür wählen.
Dennoch: Gibt es Favoriten?
Zulehner: Es gibt einen Pool von 15 bis 20 Kardinälen. Wobei es im Sinne des Bestrebens, eine Weltkirche zu sein, eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt, dass es ein Nicht-Europäer wird.
Wäre das wünschenswert?
Zulehner: Es würde ein neues Klima entstehen. Die Kirchen in Afrika, Lateinamerika oder Asien haben eine andere, hoffnungsstarke Grundstimmung. Dort gibt es die Modernitätsprobleme, die wir haben, nicht. Dort befindet sich die Kirche in einer Aufbruchsphase. Warum also nicht einen auswählen, der aus einer euphorischen Region kommt? Vielleicht könnte er mit seiner Begeisterung auch uns Europäer anstecken.
Schönborn wird wieder als Kandidat genannt. Hat er Chancen oder ist das Wunschdenken?
Zulehner: Das ist Wunschdenken. Schönborn wäre ein Spitzenkandidat, er genießt hohes Ansehen und ist ein einfühlsamer Mann der offenen Mitte. Aber dass nach einem deutschsprachigen Papst gleich wieder ein deutschsprachiger kommt, ist ziemlich unwahrscheinlich.
Sie haben erwähnt, dass ein Anforderungsprofil für die Papstwahl sinnvoll wäre. Welche Aufgaben sehen sie?
Zulehner: Der Papst muss in zwei Richtungen wirken. Nach außen muss er hochsensibel für die Freuden- und Trauererfahrungen des modernen Menschen sein. Und innerkirchlich wäre es wirklich an der Zeit, neue Formen der Partizipation zu entwickeln. So sollte der Papst die Courage haben, dafür zu sorgen, dass die kontinentalen Bischofskonferenzen mehr Zuständigkeiten für die pastoralen Fragen vor Ort bekommen. Das würde viele Konflikte herausnehmen und einen Aufschwung der Kirche auch in Europa mit sich bringen.
Sie meinen Partizipation auch im Sinne einer Volkskirche?
Zulehner: In dem Sinne, dass Leute an Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen, beteiligt werden. So müssen Pfarrgemeinden und Diözesen wesentlich mehr Mitsprache bekommen, wenn es um die Frage der Bischofsbestellung geht. In den letzten Jahren hat es da sehr viele unnötige Konflikte gegeben, die Energien blockiert haben.
Auch der Umgang der Kirche mit Wiederverheirateten und mit Sexualität ist ein Problem. Kardinal Martini hat diesbezüglich in seinem letzten Interview große Schritte gefordert.
Zulehner: Scheidung und Wiederverheiratung stehen auf der Agenda des nächsten Papstes. Warum sich hier nicht an der Orthodoxen Kirche orientieren, in der es möglich ist, ein zweites Mal kirchlich zu heiraten? Das zweite große Megathema, das zu lösen ist: Es ist ein Skandal, dass gläubige Gemeinden die Eucharistie nicht feiern können, weil ihnen kein Priester mehr zur Verfügung gestellt werden kann. Man wird also über Fragen wie die Weihe ehrenamtlicher Laien und die Ordination von Frauen nachdenken müssen.
Vorarlberg wartet seit mehr als einem Jahr auf die Bestellung eines neuen Bischofs. Wird es nun erst im Herbst dazu kommen?
Zulehner: Sofern Benedikt XVI. bis zu seinem Rücktritt keinen Vorschlag der Nuntiatur mehr unterschreibt, wird man sich noch ein bisschen gedulden müssen, bis der neue Papst in sein Routinegeschäft hineinkommt. Wobei es der Fantasie des Einzelnen überlassen ist, was besser ist. Mir erschiene es für manche Ernennungen besser, wenn sie nicht mehr von Benedikt XVI. durchgeführt werden würden; weil dann ein neuer Papst ohne die Einflussversuche diverser Seilschaften unbefangen sagen könnte, wer der Geeignete ist.
Man muss über die Ordination von Frauen nachdenken.
Paul Zulehner, Theologe