„Abrufbereiten Plan kaltblütig durchgezogen“

Keinen Amoklauf sieht Gerichtspsychiater Reinhard Haller in der Bluttat von Annaberg.
Feldkirch. Die Sprache des Verbrechens analysieren, ohne den Täter zu kennen. Auch darauf versteht sich Reinhard Haller. Im VN-Interview entwirft der Psychiater und renommierte Gutachter ein Psychogramm des Täters von Annaberg. Es geht um Aggression, Kaltblütigkeit und den Kampf gegen die Obrigkeit.
Herr Primar, was könnte der Auslöser für diese beispielslose Gewaltorgie gewesen sein?
Haller: Das ist sehr komplex. Da gibt es mehrere Gründe. Der Mann war hochgradig aggressiv, hat es aber verstanden, nach außen relativ unauffällig zu sein. Er konnte sozusagen die bürgerliche Fassade aufrechterhalten. Irgendwann hat er offensichtlich beschlossen, gegen die Behörden anzukämpfen. Da ist das Wildern an sich eine uralte Möglichkeit. Da hat sich dann im Laufe der Zeit ein Katz-und-Maus-Spiel entwickelt. Er wollte zeigen, dass er der Schlauere ist und nicht erwischt wird. Ganz sicher hat er sich auch überlegt, was zu tun ist, wenn er gestellt wird. Und als es dann so weit war, hat er das vorgeplante Szenario beinhart abgerufen und letztlich bis zum tragischen Ende kaltblütig durchgezogen.
In den Medien wird von einem Amoklauf berichtet. Kann die Tat überhaupt als Amoklauf klassifiziert werden?
Haller: Meines Erachtens nicht. Der klassische Amokläufer rennt wie in einem Trancezustand durch die Straßen und knallt alles nieder, was sich bewegt. Das ist hier sicher nicht der Fall. Der Mann hat sich den Weg quasi freigeschossen und ist dabei sehr gezielt und kaltblütig vorgegangen.
Er hat aber auch einen unbewaffneten Rettungssanitäter erschossen.
Haller: Das Ganze war eine panische Situation. Der Mann hat auf alles geschossen, was für ihn Behörde und Vorschrift darstellt. Und da gehörte der Sanitäter dazu.
Am Ende hat sich der Täter angezündet und erschossen. Auf was lässt diese Art des Freitodes schließen?
Haller: Das zeigt den totalen Vernichtungswillen dieses Mannes. So in der Art: Von mir werdet ihr im wahrsten Sinne des Wortes nichts haben.
Sie haben als Gutachter schon mehrere Wilderer begutachtet. Was sind die Persönlichkeitsmerkmale solcher Menschen?
Haller: Sie haben ein sehr großes Aggressionspotenzial, einen starken Freiheitsdrang und eine querulative Art gegen alles, was Vorschrift und Obrigkeit betrifft. Beim jetzigen Täter sieht man sehr deutlich, dass es dabei ausschließlich um einen Machtkampf ging. Er hat die Tiere getötet und nur die Trophäe, die Siegesprämie mitgenommen. Das ist hochgradig symbolisch.
Haben Wilderer eine niedrigere Hemmschwelle, einen Menschen zu töten?
Haller: Ja, wenn man vertraut ist im Umgang mit Waffen und die Tötungsschwelle, die beim Menschen eigentlich sehr hoch ist, durch seine Tätigkeit schon kennengelernt hat. Das heißt jetzt aber natürlich nicht, dass alle Metzger und Jäger verkappte Mörder sind.
