Vom Atombombenopfer zum Mahner für eine nukleare Abrüstung

Schrecken des Krieges darf sich nie wiederholen, warnt Japans Botschafter Taketoshi.
WIEN. Japan hat genügend waffenfähiges Plutonium und technisches Know-how, um in wenigen Monaten an die 3000 Nuklearwaffen zu bauen. Dennoch verzichte das Land auf Atombomben, erklärt Makoto Taketoshi, Japans Botschafter in Wien. Nach Hiroshima und Nagasaki sei es Japans moralische Pflicht, eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen.
Am 6. August jährt sich der Atombombenabwurf über Hiroshima, am 9. August jener über Nagasaki zum 70. Mal. Wie sehr ist dieses Trauma in der japanischen Bevölkerung heute noch bemerkbar?
Taketoshi: Nach dem Weltkrieg hat Japan tiefe Reue empfunden und geschworen, für immer auf Krieg zu verzichten. Seither hat Japan innerhalb der internationalen Gemeinschaft konsequent den Weg einer friedliebenden Nation beschritten. Bis heute geht die japanische Bevölkerung mit dem festen Entschluss vorwärts, dass sich der Schrecken eines Krieges niemals wiederholen darf. Den Wunsch nach einer Welt ohne Nuklearwaffen teilen nicht nur die Überlebenden des Atombombenabwurfes, sondern das gesamte japanische Volk.
Wurden beziehungsweise werden die Opfer und ihre Nachkommen in der japanischen Bevölkerung entschädigt?
Taketoshi: Die japanische Regierung führt allgemeine gesundheitliche, medizinische und soziale Maßnahmen durch, die den unmittelbaren Opfern sowie deren zu diesem Zeitpunkt noch ungeborenen Kindern medizinische Versorgung sowie verschiedene finanzielle Zuwendungen gewährleisten.
Wie gestaltet sich heute die diplomatische Beziehung zwischen Japan und den USA?
Taketoshi: Als einstige Kriegsgegner wurden Japan und die USA nach dem Krieg zu starken Verbündeten. Unsere beiden Länder haben in den 70 Jahren seit Kriegsende freundschaftliche Bande geknüpft. Im Jahr 2011, nach dem schweren Erdbeben und Tsunami im Osten Japans, hat das US-Militär eine Rettungsoperation von beispiellosem Umfang durchgeführt. Japan und die USA teilen dieselben Grundwerte wie Freiheit und Menschenrechte, und auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene sind die USA heute wichtigster Partner Japans.
Japan setzt heute zwar auf Atomenergie, besitzt aber keine Atomwaffen. Ist die bisherige Ablehnung von Nuklearwaffen eine direkte Folge der verheerenden Atombombenabwürfe von 1945?
Taketoshi: Ja. Als einziges Land in der Menschheitsgeschichte, das das Leid durch Atomwaffen erfahren hat, sehen wir es als moralische Pflicht an, eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen.
Japan baut inzwischen ballistische Raketen und verfügt aufgrund seiner Reaktoren und Technologie über genug Spaltmaterial für einen sehr schnellen Bombenbau. Japans aktueller Vorrat an 30 Tonnen spaltbarem und waffenfähigem Plutonium soll für bis zu 3000 Atomsprengköpfe reichen. Zeichnet sich eine Trendwende ab?
Taketoshi: Japan stellt keine ballistischen Raketen als Waffen her. In Bezug auf den Besitz von Atomwaffen haben der jetzige sowie auch alle bisherigen Premierminister an den drei Anti-Nuklear-Prinzipien – keine Atomwaffen zu besitzen, zu produzieren und einzuführen – festgehalten, um so zu verhindern, dass sich eine Atomwaffenkatastrophe wiederholt. Japan hat ausdrücklich erklärt, dass es seine Kräfte der Abschaffung von Atomwaffen und dem Erhalt des Weltfriedens widmen wird. Und da gibt es keine Änderung.
Fühlt sich das atomwaffenfreie Japan gegenüber seinen nuklear bewaffneten Nachbarn China, Nordkorea und Russland militärisch in der Isolation?
Taketoshi: Die Verbindung der japanisch-amerikanischen Allianz ist felsenfest, Japan ist in Bezug auf die nordostasiatischen Gebiete sicherheitspolitisch überhaupt nicht isoliert. Japan appelliert an alle Nuklearmächte, die Transparenz im Bereich der militärischen Rüstung fortlaufend zu verbessern sowie Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung zu ergreifen und setzt dabei auch konkrete Aktivitäten. Im Rahmen der unter Federführung Japans und Australiens 2010 gegründeten Non-Proliferation and Disarmament Initiative NPDI fand 2014 in Hiroshima ein Außenministertreffen statt, bei dem es zur Annahme der Hiroshima-Erklärung kam, in der unter anderem die politischen Führer weltweit aufgefordert werden, Hiroshima zu besuchen. Und an den Resolutionen zur nuklearen Abrüstung, welche Japan jedes Jahr bei der UN-Generalversammlung vorlegt und welche stets mit überwältigender Mehrheit angenommen werden, beteiligten sich 2014 mit 116 Staaten so viele Länder wie nie zuvor. Japan nimmt bei den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um nukleare Abrüstung eine führende Rolle ein.
Hat der Reaktorunfall von Fukushima ein Umdenken in der Nuklearpolitik Japans bewirkt?
Taketoshi: Nach dem Erdbeben 2011 kam es zu einer Revision der Energiepolitik. Grundlegende Richtlinie: Verwirklichung einer vollständig energiesparenden Gesellschaft, Einführung einer größtmöglichen Anzahl erneuerbarer Energieformen und Reduzierung der Abhängigkeit von Atomkraft. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtmenge des erzeugten Stroms sollte bis 2020 auf 13,5 Prozent und bis 2030 auf etwa 20 Prozent erhöht werden. Der nach dem Erdbeben 2014 erstellte neue Rahmenplan strebt ein noch höheres Niveau für erneuerbare Energien an. Nach Fukushima wurden alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Seitdem dürfen nur jene wieder in Betrieb gehen, welche von der regierungsunabhängigen Atomaufsichtsbehörde genehmigt werden – nach einer wissenschaftlichen und technischen Prüfung nach den derzeit weltweit strengsten Richtlinien.
Verhindern, dass sich eine Atomwaffenkatastrophe wiederholt.
Makoto Taketoshi


