Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Märchenerzähler

Spezial / 28.04.2017 • 22:15 Uhr

Eines ist nach 100 Tagen glasklar: Die Wirklichkeit unserer Zeit ist größer als ein fahriger US-Präsident, der in diesem Moment alles auf einmal ändern will. Zu durchschaubar, dass an allem Schlamassel sein Vorgänger schuld sein soll.

Seinen „Muslim-Ban“ stoppten die Gerichte, seine Dekrete sind der sichtbarste Teil der reinen Ankündigungspolitik. Ankündigungspolitik, in der Trump jeweils Superlative benutzt und hemmungslos übertreibt. Er regiert per Executive Order. Trump hat öffentlichkeitswirksam 24 dieser Schriftstücke innert 100 Tagen unterzeichnet, so viele wie kein Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg. Bleibt die Erkenntnis, dass auch der mächtigste Mann der Welt nicht einfach so herumregieren kann.

Das Weiße Haus wird zum Familienunternehmen, Tochter und Schwiegersohn nehmen wichtige Positionen im Hintergrund ein. Aus Mangel an politischer Erfahrung und Weitsicht muss Trump verstärkt auf wechselnde Berater vertrauen, die um Einfluss kämpfen. Des Präsidenten Geschäft ist die Kommunikation, das Verkaufen nach außen. Großspurig die Ankündigungen, märchenhaft wird die Welt zurechtgerückt. Alles ganz einfach.

Simpel ist auch die Sprache. Nicht wenige schätzen dies, denn sie ist auch klar. Auch zahllose nicht gehaltene Versprechen für die ersten 100 Tage werden nichts daran ändern, dass 95 Prozent seiner Wähler ihn erneut wählen würden.

Konsequent lebt er sein „America first“: Internationalen Reisen widmete er keine Zeit. Während Obama während der ersten 100 Tage gleich neun Länder besuchte, machte George W. Bush immerhin den Nachbarn Mexiko und Kanada die Aufwartung. Trump blieb zu Hause oder reiste nach Florida. Von den 15 Wochenenden, die er als Präsident bisher hatte, weilte er an sieben Wochenenden in seinem Golfhotel „Mar-a-Lago“. Dort übrigens verspeiste er auch den laut Fox-Interview „wunderschönen“ Schokokuchen, bei dessen Verzehr er Präsident Xi Jinping über den Raketenangriff auf einen syrischen Militärflughafen unterrichtete.

In seiner Meinung bleibt Trump flexibel. Schon im Wahlkampf hörte jeder Wähler per Facebook jene Botschaft, die er gerne hören wollte. Das ist bis heute so geblieben. Trump sagt, dass die Nato obsolet sei. Er sagt aber auch, dass sie zum Kern der US-Sicherheitspolitik gehöre. Sein Verhältnis zu Russlands Wladimir Putin ist ein Hü-Hott-Spiel, wie jenes zu China auch. Politische Gegner, Journalisten, Einzelpersonen werden in einer Twitter-Kaskade niedergemacht.

Selbsterhöhung durch Erniedrigung von allem anderen.

Trump, der Märchenerzähler, ist zum Sinnbild geworden für das unkalkulierbare Heute. Ein Heute, das Europa im Weltgefüge als Stabilisator eine neue Chance eröffnet.

Trump, der Märchenerzähler, ist zum Sinnbild geworden für das unkalkulierbare Heute.

gerold.riedmann@vn.at, Twitter: @geroldriedmann, Tel. 05572/501-320

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.