Giro d’Italia 2021 – Mein Tagebuch: Matthias Brändle – die Dienste eines “Beschützers”

Am heutigen zweiten Ruhetag möchte ich noch einmal auf die Etappe vom Sonntag eingehen. Die 15. Etappe, meine Etappe, auf der ich mir reelle Siegchancen ausgerechnet hatte. Ich hatte immer gesagt, ich wolle attackieren, weil die Spitzengruppe bei dem Streckenprofil wahrscheinlich durchkommen wird.
Soweit so gut, doch es kam leider anders. Weil wir nur mehr fünf Fahrer im Team sind und auf den ersten 30 km Seitenwind vorhergesagt war, durfte ich nicht attackieren. Ich musste, quasi als Beschützer, bei Dan Martin bleiben, um bei ihm zu sein, falls es auf die Windkante geht.
Noch zwei Chancen
Es sollte eine ziemlich harte Erfahrung werden, denn die Etappe verlief so, wie ich es erwartet hatte. Bis auf den Sturz in der Anfangsphase, wo es leider Emanuel Buchmann und drei weitere Fahrer ziemlich übel erwischt hat und sie das Rennen aufgeben mussten. Gute und schnelle Besserung auf diesem Wege. Es war ein ziemlich übler Crash mit über 60 km/h.
Ich traue mich zu behaupten, dass ich bei der Ausreißergruppe gewesen wäre. Auch der weitere Rennverlauf mit einer frühen Attacke im Finale von Campenaerts hätte perfekt gepasst. Schwamm drüber, vielleicht ist das Glück auf Etappe 18 auf meiner Seite.
Die Königsetappe vom Montag hatte es in sich. Nur ein bis zwei Grad auf 2300 m, dazu Dauerregen. So war ich froh, dass nicht die volle Etappe gefahren wurde, auch wenn ich mich nicht als Weichling bezeichne. Man darf nicht vergessen: Acht Fahrer pro Team, zwei Teamautos, und bei einer Etappe wie dieser sind die Fahrer überall verstreut. So haben einige Fahrer kein Teamauto, und das ist bei vier Abfahrten ein Problem, da kein Zugang zu neuer warmer Kleidung besteht. Wäre nicht verkürzt worden, hätte es wohl viele Ausfälle gegeben. Doch auch so war es eine superspannende Etappe, und TV-Bilder hätte es ob des Schlechtwetters eh keine gegeben. Und ehrlich, es war auch so kalt und nass genug, mit 155 km, 3600 Höhenmeter und fünf Stunden Regen.
Nach dem Ruhetag geht es heute in die letzten Tage. Dan wird ob des großen Zeitrückstands versuchen einen Etappensieg zu holen – heute oder freitags. Ich will es, sofern das Okay kommt, auf Etappe 18 probieren und natürlich beim finalen Zeitfahren in Mailand. Obwohl, noch ist die Zeitfahrmaschine nicht da. Auf heimische Unterstützung hoffe ich auf der Etappe am Samstag, wenn wir den Berninapass überqueren. Ich müsste nur geradeaus weiterfahren und wäre wohl zeitgleich zum Etappenziel in Hohenems.
Matthias Brändle (31) ist Radprofi, ehemaliger Stunden-Weltrekordler und bestreitet für das israelische Team Israel Start-up Nation seine fünfte Italien-Radrundfahrt.