Von der Touristin zur Titelträgerin

Sport / 16.07.2023 • 22:19 Uhr
Als erste Ungesetzte entschied die Tschechin Marketa Vondrousova das Finale von Wimbledon für sich.Reuters
Als erste Ungesetzte entschied die Tschechin Marketa Vondrousova das Finale von Wimbledon für sich.Reuters

Marketa Vondrousova holt sich als erste Ungesetzte den Wimbledon-Titel.

London Als vor einem Jahr in Wimbledon die Champions ermittelt wurden, saß Marketa Vondrousova als Zuschauerin auf der Tribüne. Den linken Arm in einen Gips gehüllt, verfolgte die 24 Jahre alte Tschechin ein paar Partien ihrer Freundin Miriam Kolodziejova. Ansonsten war sie in den Shopping-Malls von London anzutreffen. „Wir waren Touristen, haben das London Eye besucht und waren viel shoppen“, sagte Vondrousova.

Ein Jahr später blieb dafür keine Zeit. Denn Vondrousova spielte sieben Matches beim Rasen-Klassiker – und krönte sich überraschend zur Königin von Wimbledon. „Das ist einfach unbeschreiblich“, sagte Vondrousova. „Vor einem Jahr hatte ich einen Gips um den Arm, jetzt habe ich Wimbledon gewonnen“, sagte sie nach dem 6:4, 6:4 gegen die Tunesierin Ons Jabeur, die damit ihr zweites Wimbledonfinale in Serie verlor und danach am Boden zerstört war. Auch der aufmunternde Applaus der Zuschauer und eine Umarmung von Prinzessin Kate konnten Jabeur nicht aufmuntern.

Vondrousova dagegen trug stolz und ungläubig zugleich die Sieges-
trophäe, den Venus Rosewater Dish, über den Rasen. Nach Angaben der Veranstalter als erste ungesetzte Spielerin der Turniergeschichte gewann sie das wohl populärste Tennis-Event und fügte der erfolgreichen tschechischen Wimbledon-Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu. „Vondrousova reiht sich in die Legenden-Riege ein“, schrieb „Sport.cz“. „Eine Fantasie wird wahr!“, titelte „MF Dnes“.

Vor Vondrousova hatten bereits die Tschechinnen Jana Novotna (1998) und Petra Kvitova (2011) im All England Lawn Tennis and Croquet Club gewonnen. „Ein großer Sieg für dich und das tschechische Tennis. Genieße jeden Moment dieses Erfolges“, schrieb Kvitova, die im Viertelfinale in zwei Sätzen gegen Jabeur verloren hatte, bei Twitter.

„Es ist einfach passiert“

Der Triumph von Vondrousova war der bislang überraschendste der tschechischen Siege. Schließlich war sie zuvor nicht gerade als Rasenspezialistin bekannt. „Es war das unwahrscheinlichste Grand-Slam-Turnier für mich zu gewinnen. Und jetzt ist es einfach passiert“, sagte die Linkshänderin, die 2019 das Finale bei den French Open erreicht hatte. 2021 gewann sie bei Olympia in Tokio Silber. Und dennoch reiht sie sich in die Riege von Grand-Slam-Siegerinnen ein, mit denen niemand gerechnet hatte. Wie Jelena Ostapenko (Paris 2017), Emma Raducanu (US Open 2021) oder Landsfrau Barbora Krejcikova (Paris 2021).

Von vielen hörte man danach nicht mehr viel, auch Vondrousova könnte so ein One-Hit-Wonder sein. Doch das war ihr im Moment ihres größten Erfolges herzlich egal. „Ich werde erst einmal ein paar Bier trinken“, sagte Vondrousova. Am Tag danach wollte sie sich dann zusammen mit ihrem Coach Jan Mertl ein Tattoo stechen lassen. Der Trainer hatte das im Glauben, ein Grand-Slam-Sieg seines Schützlings sei eher unwahrscheinlich, vor dem Turnier versprochen.

Fürs Finale war auch ihr Ehemann Stepan Simek eingeflogen. Am Sonntag feiern die beiden ihren ersten Hochzeitstag. Einen schöneren Ort und Moment hätte sich das Paar kaum aussuchen können.

„Du bist so eine Inspiration für uns alle, und eines Tages wirst du hier gewinnen.“