Zehn Meter schneller mit dem verbotenen Stoff

Das Fluor-Verbot in allen FIS- und IBU-Bewerben könnte sportlich vieles durcheinanderwirbeln.
Altstätten, Schwarzach In gut einer Woche startet der Weltcup der Alpinen in Sölden, einen Monat später folgen die nordischen Athleten in Ruka. Ein großes Fragezeichen begleitet die Athleten und vor allem ihre Serviceleute vor dem Saisonstart. Nach dem Verbot von fluorhaltigem Wachs stellt sich die Frage nach der idealen Ski-Präparation unter völlig neuen Vorzeichen. „Die jahrzehntelange Erfahrung der Serviceleute ist mit einem Schlag völlig wertlos“, weiß Stefan Jung, Chef der Forschung und Entwicklung beim Wachshersteller Toko.

Fluor als mutmaßlich krebserregender Stoff wird auf Vorgabe der EU sukzessive aus allen Produkten verbannt. Die FIS hat sich nach mehreren Verschiebungen durchgerungen, das Verbot in dieser Saison zu exekutieren und zu kontrollieren. Allerdings sind viele Fragen immer noch ungeklärt. Die FIS-Messgeräte reagieren sehr empfindlich auf Fluor. Bei den Nordischen sollen die Ski sowohl vor als auch nach dem Wettkampf mit einem Infrarotgerät getestet werden, bei den Alpinen reichen Messungen im Zielgelände. Die Folgen eines positiven Messergebnisses sind derzeit noch nicht klar.

Zusätzlich sind – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – Manipulationen denkbar. Sowohl indem Fluor weiterhin verwendet und etwa durch eine Schicht abgedeckt wird, als auch dass absichtliche Verunreinigungen bei Konkurrenten zu positiven Messergebnissen und Disqualifikationen führen könnten. „Wenn an einem Hang viele mit Fluorwachsen fahren und einer ohne Fluor unterwegs ist, sammelt er so viel von dem Stoff auf, dass sein Ski nach einer Fahrt ebenfalls ein positives Messergebnis zeigen würde“, warnt Jung außerdem.
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Alle Werkzeuge unbrauchbar
Doch warum wurde der giftige Stoff im Skisport überhaupt verwendet? „Eine Fluor-Carbon-Verbindung ist die beste Verbindung fürs Gleiten. Das sieht man auch bei einer Teflonpfanne, die nach demselben Prinzip funktioniert“, weiß Jung, der bereits seit Jahren an den neuen Produkten im Labor in Altstätten unweit der Vorarlberger Grenze tüftelt.

Fluor-Wachse waren bislang unschlagbar, der Unterschied soll je nach äußeren Bedingungen bis zu 10 Prozent Unterschied ausgemacht haben, vor allem beim Langlauf. „Wir haben Tests durchgeführt, bei richtig nassem Schnee verliert man auf einer Strecke von 100 Metern bis zu 10 Meter“, sagt Jung.

Die größte Änderung betreffe jedoch nicht die Athleten selbst, sondern deren Serviceleute. „Die hatten einen Erfahrungsschatz von vielen Jahren, welche Wachse mit welchem Ski bei welchen Bedingungen Sinn machen. Dieser Schatz ist jetzt weg. Jeder fängt bei null an, es gibt keine Erfahrungswerte mehr“, erklärt der deutsche Entwicklungschef von Toko. Dazu müssen die Serviceleute ihr gesamtes Equipment erneuern, da jede Bürste und jeder Lappen mit Fluor belastet ist.

Überraschungen vorprogrammiert
Aufgrund der völlig neuen Ausgangsposition erwartet Jung zum Saisonauftakt größere Unterschiede in der Skipräparation als zuletzt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Servicemänner jetzt schon alle Wachse auf der Welt kennen.“ Im Weltcup wird die FIS recht flächendeckend kontrollieren, wie das Fluorverbot allerdings bei Europacup- oder FIS-Rennen kontrolliert wird, weiß niemand. Ein Kontrollgerät kostet immerhin um die 30.000 Euro.
