„Ich habe noch nie so schlimme Schmerzen erlebt“

Nina Ortlieb spricht nach ihrem Schien- und Wadenbeinbruch über den Unfall und ihren Heilungsverlauf.
Am 8. Dezember stürzte Nina Ortlieb beim Einfahren für den Super-G von St. Moritz schwer und zog sich dabei einen Schien- und Wadenbeinbruch im rechten Bein zu. Die 27-jährige Lecherin hatte sich bereits in der Vergangenheit zahlreiche Verletzungen zugezogen. Zu mehrfachen Knie-Operationen kommen Brüche im Becken, Schambein, Oberarm, Mittelhandknochen (3x), Sprunggelenk (2x), eine Schulterluxation und Rippenfraktur. Auch die Nase ist mehrfach lädiert. Nach WM-Silber im Februar 2023 hatte Ortlieb 19 Operationen aufgezählt.
Wie geht es Ihnen knapp eine Woche nach der Verletzung?
Nina Ortlieb: Schon deutlich besser. Dass die Schmerzen weniger wurden, hilft auch mental. Seit Mittwoch bin ich wieder zurück zu Hause in Lech, das ist angenehm. Ich wurde im Sanatorium in Schruns super versorgt, aber das Krankenhaus verlassen zu dürfen ist ein nächster Schritt.

Die Verletzung ist noch vor dem Rennen in St. Moritz passiert. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Nina Ortlieb: Ich hatte die schwierigsten Passagen des Laufs bereits überstanden, es warteten nur noch drei flache Tore auf mich. Die Wetterbedingungen waren schwierig mit flachem Licht und Neuschnee neben der Spur. Aus dem Nichts hat es mir die Beine auseinandergezogen, ich bin nach vorn gestürzt und vermutlich mit dem Schienbein am Tor hängen geblieben. Es gibt leider kein Video, wie es genau dazugekommen ist, ist deshalb etwas unklar. Ändern lässt sich die Situation ohnehin nicht mehr.

Hat die Rettungskette anschließend funktioniert?
Nina Ortlieb: Ja. Zum Glück war unser Mannschaftsarzt noch am Start, der hat alles Weitere in die Wege geleitet. Ich wurde nach St. Moritz in die Klinik Gut geflogen und von dort weiter zu Dr. Schenk nach Schruns.
Sie wurden anschließend bereits zum 20. Mal in ihrem Leben operiert. Das können sich viele gar nicht vorstellen.
Nina Ortlieb: In diesem Moment ist die OP eine große Erlösung. Bei solch einer Verletzung mit großen Schmerzen spürt man bei der Narkose zumindest akut nichts mehr. Außerdem muss es einfach gemacht werden, anders würde es nicht heilen. Mit der Operation startet zudem die Heilung.

Sie sollen ja bereits wieder trainieren, indem Sie am Ergometer sitzen und die Beinpresse drücken.
Nina Ortlieb: Das ging schneller als ich es mir selbst gedacht habe. Ich habe eine Verletzung wie den jetzigen Schien- und Wadenbeinbruch noch nie gehabt, aber einige schwere Knieverletzungen. Bei einem Gelenk ist die Heilung immer komplexer, das gibt mir Hoffnung, dass die Reha dieses Mal etwas komplikationsfreier abläuft als in der Vergangenheit und es schneller geht.
Sind die aktuellen Schmerzen mit Ihren bisherigen Verletzungen vergleichbar?
Nina Ortlieb: Es war dieses Mal ganz anders. Ich habe noch nie so schlimme Schmerzen erlebt und hoffe, ich muss es auch nie wieder erleben.
Sie waren trotzdem sehr schnell auf Ihre Rückkehr fokussiert und haben bereits in Ihrer ersten Nachricht ein Comeback angekündigt. Gab es keinen Moment des Zweifels, dass es genug sein könnte?
Nina Ortlieb: Nein, den gab es nie. Dafür bin ich zu gerne Skifahrerin. Ich habe es vor drei Jahren schon gesagt und das gilt auch heute noch: Ich bin immer noch jung genug, dass es sich rentiert und ich glaube, ich kann noch viel mehr in meiner Karriere erreichen. Das möchte ich probieren.
Sie sind immer stärker aus Ihren Verletzungen zurückgekommen. Bremst Sie diese Vergangenheit gar nicht?
Nina Ortlieb: Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn es keine Verletzungen gegeben hätte. Dann hätte ich mich kontinuierlich entwickeln können. Ich gehe davon aus, dass sich bei einem normalen Karriereverlauf meine Leistung auch gesteigert hätte. Nach einer Verletzung muss man zuerst dorthin zurück, wo man war und dann weiterarbeiten.
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Ihre mentale Stärke haben Sie allerdings mehrfach unter Beweis gestellt.
Nina Ortlieb: Auf der mentalen Ebene lernt man bei einer Verletzung sehr viel. Man lernt den Körper besser kennen und kann Situationen besser einordnen. Früher haben mich Kleinigkeiten eher aus dem Konzept gebracht. Heute weiß ich, dass es Schlimmeres gibt und Chancen wiederkommen.

Wie soll es in der nahen Zukunft mit der Reha vorangehen?
Nina Ortlieb: Das ist noch zu früh. Die Planung ist schwierig, was mich selbst ein bisschen stresst. Es ist wieder eine komplexe Verletzung und aufgrund meiner Vorgeschichte wurde eine andere Behandlungsmethode gewählt als bei einem nicht vorbelasteten Sportler. Deshalb fehlen uns die Anhaltspunkte. In der ersten Phase geht es darum, die Entzündung loszuwerden und die Schwellung zu reduzieren. In den kommenden sechs bis acht Wochen werde ich Krücken brauchen, erst danach ist an ein vernünftiges Reha-Training zu denken.
Wie gehen Sie mit dem laufenden Skiweltcup um, verfolgen Sie die aktuellen Rennen?
Nina Ortlieb: Die ersten Tage waren schwierig, einiges habe ich im Nachhinein nachgeschaut, weil ich so nahe dran bin und die Fahrerinnen kenne. Jetzt bin ich vom Kopf her schon einen Schritt weiter und ich werde mir wahrscheinlich die Rennen am Wochenende anschauen. Über den Fernseher versuche ich gleich etwas Wertvolles mitzunehmen, als Zuseher sieht man die Linie besser. Im Idealfall bin ich nächstes Jahr wieder im Weltcup unterwegs, über die Jahre fehlen mir doch schon einige Trainingsfahrten auf den unterschiedlichen Strecken.