Der Weltmann Beckenbauer

Out of Giesing: Der Aufstieg des bayrischen Fußballers zum polyglotten Weltbürger.
München Sommer 1977, in der Kabine von Cosmos New York sitzen Franz Beckenbauer und Pele verschwitzt vor ihrem Spind, als plötzlich ein dürres Kerlchen durch die Szenerie stolpert. Wer ist der Typ? „Ich wusste bloß“, sagte Beckenbauer, „der ist auf Drogen.“ Der? Kein Geringerer als Mick Jagger.
Mit der Rock-Ikone tanzt Beckenbauer später bei den legendären Montagspartys im „Studio 54“ in Manhattan. In Amerika trifft er Legenden wie Muhammad Ali, spaziert mit Schauspieler Robert Redford durch den Central Park, lässt sich von Andy Warhol porträtieren und widersteht den Avancen des homosexuellen Ballettstars Rudolf Nurejew („Du, Rudolf, lass es gut sein“). Out of Giesing – am Big Apple wird der Weltstar Beckenbauer zum Weltmann.
Die beste Entscheidung
Wer begreifen will, warum nicht nur die Sportwelt weit über die Grenzen Deutschlands hinaus um den verstorbenen „Kaiser“ trauert, muss zurückblicken in die Seventies, in die USA. Erst dort, zwischen 1977 und 1980 sowie noch mal für fünf Monate 1983 wird aus dem eleganten Fußballer Beckenbauer der „King of Cool“, dort lässt er die Münchner Enge hinter sich und spielt sich frei, auch privat.
„Mit Pele zu spielen war immer mein Traum“, begründet er seinen Wechsel, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Das Finanzamt stellt Steuerforderungen in Millionenhöhe, da kommt das „sehr, sehr gute“ Angebot (sieben Millionen Dollar für drei Jahre) gerade recht. Es ist eine Flucht, auch vor dem Boulevard, der seine Ehekrise ausschlachtet.
In der verlachten Operettenliga spielt Beckenbauer im Giants Stadium, der modernsten Arena, oft kommen mehr als 70.000 Fans – mehr als zu den Bayern, Barca oder Real Madrid. Dass er wegen der DFB-Statuten nicht mehr in der Nationalelf auflaufen darf, nimmt er in Kauf. „Nach New York zu gehen war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagte er später über die „schönste Zeit“.
Weltweit auf Briefmarken
Beckenbauer wird endgültig der erste deutsche Fußballspieler, der nicht ausschließlich über den Sport wahrgenommen wird. „Entdeckt“ wird er von der weiten Fußballwelt schon 1966, auf der größten Bühne WM, als sich die Zuschauer in seine Kunst und Eleganz verlieben. Vier Jahre später fügt er dem Magier-image mit bandagierter Schulter das ikonische Bild des „verwundeten, besiegten, aber stolzen preußischen Offiziers“ (Evening Standard) hinzu, 1974 das des Weltmeisterkapitäns. Sein Auftreten ist da längst weltmännisch. Er trägt Pelzmäntel und auch mal Schnurrbart, besucht die Bayreuther Festspiele und den Wiener Opernball. Bald staunt die Welt über diesen Deutschen, den es in seiner Mischung aus nonchalanter Lässigkeit und überdeutscher Disziplin „eigentlich nicht gibt“ (Süddeutsche Zeitung). Beckenbauers Porträt wird auf Briefmarken verewigt – in der Volksrepublik Kongo, im Emirat Adschman, in Nicaragua und zum 60. Geburtstag in seiner späteren Wahlheimat Österreich.
„Nur der Mensch zählt“
Als Präsident hilft er, den FC Bayern vom Verein zum Weltkonzern mit eigenem Stadion umzubauen. Als weltreisender Diplomat im Dienste der WM 2006 komplettiert er das Bild des Kosmopoliten und reist in alle 31 Teilnehmerländer. Ob bei Prinzessin Takamado in Japan, Papst Benedikt XVI. in Rom oder den Aborigines in Australien – er tritt überall getreu dem Motto seiner Mutter Antonie auf: Hautfarbe, Konfession, sexuelle Orientierung – alles egal: „Es zählt nur der Mensch.“
Beckenbauer habe für das Image der Deutschen im Ausland „mehr geleistet als 50 Jahre Diplomatie und zehn Goethe-Institute zusammen“, sagte der Künstler André Heller. Sein Ruf eilte ihm voraus, in alle Welt. Bis in den Himmel? „Wenn der Kaiser spricht“, meinte Meistertrainer Max Merkel, „legen sogar die Engel ihre Harfen beiseite.“

