„Und jetzt stehe ich hier und lebe“

Moran Vermeulen kämpft gegen seine Depressionen und feiert sein Comeback im Radsport.
Rankweil Am 4. September stand das Leben von Moran Vermeulen auf der Kippe. Während des Rennradtrainings öffnete der 26-Jährige seinen Helm und wollte auf der nächsten Abfahrt frontal in das nächste entgegenkommende Auto steuern. Der Steirer war fest entschlossen, seinem Leben an diesem sonnigen Montag ein Ende zu setzen. Doch es kam einfach kein Auto, nach einigen Minuten blieb Vermeulen stehen, atmete tief durch und machte zunächst normal weiter.
Ab diesem Moment wusste er aber, dass er ein Problem hat, auch wenn er vorerst mit niemandem darüber sprach. „Ab dann war es, als würde ich in einer ständigen Nebelsuppe stecken“, erinnert sich der Radprofi, „ich hatte Phasen, da habe ich nicht einmal mehr geschafft, zu duschen. Ich habe mich vernachlässigt, teilweise übermäßig Alkohol getrunken und mich anhand von Trainingsreizen überstimuliert. Ich wollte einfach wieder irgendetwas spüren.“

Der 26-Jährige hatte mit Schlaflosigkeit zu kämpfen und geriet immer tiefer in den Strudel an negativen Gefühlen. Dazu erlebte er in seiner Profikarriere eine schwierige Zeit, in der sich Verletzungen mit Krankheiten abwechselten. „Mein Problem war: Ich hasste mich selbst, nicht erst seit gestern. Jeder Schritt, jede Zuckung, jedes Haar, ich hasste alles an mir. Das führte zu meinen suizidalen Gedanken“, spricht Vermeulen offen über seine Gefühlswelt. Beim Trainingslager im März auf Rhodos erlebte der Radprofi einen weiteren Einbruch. Doch dieses Mal wählte er die Nummer seines Bruders Mika, seines Zeichens ein Weltklasse-Langläufer, und öffnete sich ein erstes Mal.

Damals identifizierte Moran Vermeulen das Fahrrad als sein Hauptproblem und legte eine Pause ein. Sein anschließendes öffentliches Bekenntnis im Zuge der Teamvorstellung sorgte für zahlreiche Reaktionen. „Ich habe viele Nachrichten bekommen. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht allein bin. Ich bin nicht der Einzige mit dem Problem. Das war erleichternd“, erinnert sich Vermeulen. Diese Erfahrung ist auch der Grund, warum er jetzt so offen mit seiner Leidensgeschichte umgeht. Er möchte anderen helfen, die in einer ähnlichen Situation stecken.
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Schwere Depression diagnostiziert
Vermeulen legte bekanntlich eine Pause vom Radsport ein und flog nach Madeira in den Urlaub. Doch dort konnte er den Dämonen seiner Erkrankung nicht entfliehen. „Drei, vier Tage ist es gut gegangen. Doch dann ist es wieder ganz schlecht geworden“, erinnert sich der 26-Jährige, der sich anschließend zum ersten Mal in ärztliche Behandlung begab. Sein Hausarzt verwies ihn weiter an die Clemens-Doppler-Klinik in Salzburg. Trotz einigen Widerwillens rief der Fahrer des Team Vorarlberg dort an und wurde unverzüglich zu einem Termin gebeten. Die Ärzte diagnostizierten schließlich eine mittlere bis schwere Depression beim Leistungssportler und begannen umgehend mit einer Therapie.

Vermeulen musste täglich Medikamente nehmen und machte einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung. „In der Klinik habe ich zum ersten Mal die gesamte Geschichte erzählt. Es war eine große Erleichterung, als ich gesagt habe: Ich wollte mich selbst umbringen. Ab diesem Geständnis ist es besser geworden.“

Der Weg aus der Depression ist allerdings lange und verläuft nicht linear. „Ich bin noch lange nicht gesund“, weiß Vermeulen. Aber er hat gemerkt, dass das Fahrrad nie sein Problem war, sondern der Sport sogar eine Hilfe dabei war, trübe Gedanken zu verdrängen. So kehrt er am Sonntag beim Rennen „Rund um Köln“ an die Startlinie zurück. „Dass ich am Start stehe, ist der größte Erfolg meines Lebens. Ich komme aus einer Phase, in der ich nur noch einschlafen und nie mehr aufwachen wollte. Und jetzt stehe ich hier und lebe.“
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