Warum die Anzahl der Gemeinden “in Stein gemeißelt ist”

Was es nur in Vorarlberg gibt, wer immer gewinnt, welche Rolle Frauen in der Gemeindepolitik spielen. Sechs Fakten zu den Gemeindewahlen.
Dornbirn Der zweite Anlauf nach der wegen der Coronapandemie notwendig gewordenen Verschiebung rückt näher. Vorarlberg wählt am 13. September seine Gemeindevertreter. Seit 1950 ist das alle fünf Jahre so. Viel hat sich seither getan. Einiges ist unverändert. Die Gemeindewahlen seien in vielen Bereichen von einer Beharrlichkeit geprägt, sagt Dr. Wolfgang Weber (56), der sich wissenschaftlich mit den Urnengängen in den Kommunen auseinandergesetzt hat. Der Grundsatz freier Gemeinden als Grundpfeiler des freien Staates reicht bis 1849 zurück. An der wesentlichen Aufgabe, der Daseinsvorsorge, habe sich bis heute nichts geändert. Gemeinden gibt es in ganz Europa und damit eine Vergleichbarkeit. Vorarlberg spielt in manchen Bereichen eine Sonderrolle – bei Mehrheitswahl und Gemeindefusionen zum Beispiel. Was es nur in Vorarlberg gibt: Sechs Fakten zu den Gemeinderatswahlen.
Wie sich die Zahl der Gemeinden in Vorarlberg entwickelt hat
In Vorarlberg gibt es 96 Gemeinden. Eine Zahl, die in Stein gemeißelt scheint. Politikwissenschaftler Wolfgang Weber spricht im Zusammenhang mit Gemeindefusionen von einer „heiligen Kuh“. Seit 1946 ist die Zahl der Kommunen unverändert. Vorarlberg tanzt damit aus der Reihe. Österreichweit wurden zwischen 1960 und 2005 etwa 50 Prozent der Gemeinden zusammengelegt. Ein Prozess, der etwa in der Steiermark noch immer im Gange sei, so Weber. Der Blick über die Grenzen: In Westdeutschland haben zwei Drittel der Gemeinden fusioniert, in Schweden und Großbritannien sind vier von fünf Gemeinden verschwunden. Vorarlberger Kleingemeinden würden Kooperationen begrüßen, Fusionen hingegen kategorisch ablehnen. „Bis in 30 Jahren werden wir allerdings keine 96 Gemeinden mehr haben“, ist der Politologe überzeugt.
Wie Vorarlberg seit 1950 gewählt hat
„Es gibt in den 70 Jahren mit der ÖVP eine klare Siegerin“, so Webers Analyse der Wahlergebnisse. Die Volkspartei habe gemeinsam mit den ihr nahestehenden Listen meist über 40 Prozent der Stimmen erreicht. Die SPÖ konnte auf Gemeindeebene mit wenigen Ausnahmen nie reüssieren, die Freiheitlichen hätten sich als bürgerliches Korrektiv indes gut etabliert. Und noch „eine Beharrlichkeit“, wie Weber es nennt, sei festzustellen. Eine „Viererbande“ dominiert die Gemeindestuben. Bis in die 60er-Jahre seien das die ÖVP, FPÖ, SPÖ und KPÖ gewesen. Danach – nach kurzer Unterbrechung – ergänzten die Grünen das VP-FP-SP-Trio.
Wie die Wahlkämpfe in den Gemeinden gelaufen sind

Schon mit der ersten Wahl seien Sachthemen im Vordergrund gestanden, so der Vorarlberger Politologe Wolfgang Weber. Raumplanung, Bodenbewirtschaftung und Flächenwidmung seien immer wiederkehrende Inhalte. „Klassische Parteiinteressen wurden immer zurückgestellt.“ Die Geschichte der Wahlkämpfe wird von Verkehrsthemen dominiert. Ob Unterflur-Diskussionen in Bregenz, die es bis heute gibt, die Führung der Stadtstraße in Dornbirn oder Asphaltstraßen in den 60er-Jahren: Themen wie diese hätten Wahlausgänge mitentschieden. In Bregenz etwa musste Karl Tizian 1970 nach 20 Jahren den Bürgermeistersessel räumen, weil er bei der Frage der Autobahntrassierung aufs falsche Pferd setzte. Seine präferierte Unterflurlösung war nicht mehrheitsfähig. Jene von Fritz Mayer schon – Pfänder- und Citytunnel sind das politische Erbe des SPÖ-Bürgermeisters.
Was es mit der Mehrheitswahl in Vorarlberg auf sich hat
Bereits 1950 gab es in Vorarlberg die Mehrheitswahl. 34 Jahre später wurde sie durch den Verfassungsgerichtshof abgeschafft, um 2000 ein Comeback zu feiern. „Wahlen in die Gemeindevertretung in Ermangelung von Wahlvorschlägen“ (Vorarlberger Gemeindewahlgesetz) ermöglicht den Wählern in Kleingemeinden, Namen auf einen Wahlzettel zu schreiben. In der ersten Sitzung küren die Gemeindevertreter einen aus ihrer Mitte zum Bürgermeister. In 14 Gemeinden findet diese Praxis heuer Anwendung, bis 1980 war dies noch in jeder dritten Gemeinde des Landes der Fall. „Es handelt sich um eine demokratisch vorbildliche Lösung für den Fall, dass in einer Gemeinde keine Wahlvorschläge eingebracht werden“, sagt Professor Wolfgang Weber. In anderen Gemeinden gibt es Listenwahl oder Listenwahl mit Bürgermeisterdirektwahl.
Wie sich die Wahlbeteiligung entwickelt hat
109.295 Vorarlberger waren 1950 wahlberechtigt, heute sind es mit 300.721 fast dreimal so viele. Bis 1995 lag die Beteiligung bei über 90 Prozent, im Jahr 2000 mit 88,8 Prozent erstmals unter der 90-Prozent-Marke. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Bürgermeisterdirektwahl eingeführt. „Ziel war es, die Beteiligung hoch zu halten“, sagt Politologe Weber. Diese Hoffnung habe sich allerdings nicht erfüllt. Das dokumentieren die jüngsten Zahlen. Mit dem Ende der Wahlpflicht ist die Wahlbeteiligung auf 64,9 Prozent (2005), dann auf 62,6 Prozent (2010) und schließlich auf 58,56 Prozent gesunken.
Welche Rolle Frauen in der Gemeindepolitik spielen

48 Jahre nach der ersten Wahl saß mit Anna Franz in Bezau die erste Frau im Bürgermeistersessel (1998). Kandidatinnen habe es aber bereits bei der Premierenwahl gegeben. „Allerdings nur als Ersatzvertreter“, schränkt Experte Wolfgang Weber ein. 1954 sei dann Elfriede Blaickner in Feldkirch zur Gemeindevertreterin nachgerückt. Ein Frauenanteil in den Gemeindestuben wurde erstmals 1991 erhoben. Er lag damals bei rund neun Prozent. Zuletzt hat sich der Anteil auf 23 Prozent erhöht. „Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Es werden mehr Frauen in der Gemeindepolitik, aber es sind immer noch wenige“, sagt Weber.