Meinrad Pichler wartete nicht auf die Erlaubnis, um die Wahrheit zu suchen: “Er hat hingeschaut, als andere weggeschaut haben”

Meinrad Pichler (77) wurde am Dienstagabend vor 400 Gästen mit dem 56. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preis und -Ring für seine herausragenden Leistungen gewürdigt. Der Historiker und Pädagoge gilt als unbeirrbarer Aufklärer, vom „braunen Sumpf“ bis zur Alltagsgeschichte von Auswanderern.
Darum geht’s:
- Meinrad Pichler wurde am Dienstagabend mit den 56. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preis und -Ring gewürdigt.
- Er hinterfragt Vorarlbergs Geschichtsverständnis seit über 40 Jahren. Besonders die Aufarbeitung der NS-Zeit.
- Pichler betont die Relevanz historischer Aufarbeitung für die Gegenwart.
Von Mirijam Haller und Matthias Rauch
Bregenz In einer Zeit, in der Autokraten Geschichte umschreiben, soziale Medien Lügen schneller verbreiten als Wahrheiten und künstliche Intelligenz täuschend echte Falschmeldungen generieren kann, sind Menschen unverzichtbar, die unbeirrt der Wahrheit verpflichtet bleiben.
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“In Zeiten, in denen die Wahrheit verhandelbar wird, brauchen wir Menschen, die sie verteidigen”, erinnerte Herausgeber Eugen A. Russ bei der Verleihung des 56. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preises und -Rings an den Historiker Meinrad Pichler am Dienstagabend ins Gedächtnis. Mit seiner Arbeit habe Pichler aufgezeigt, dass selbst unbequeme Wahrheit das Einzige sei, was zählt.

“Er hat hingeschaut, als andere weggeschaut haben. Er hat Fragen gestellt, als andere geschwiegen haben. Und er hat die Wahrheit gesucht, als andere sie lieber begraben hätten”, begründet Russ vor den 400 Gästen im Bregenzer Festspielhaus die Wahl der Jury. Ausgewählt wurde der Geschichtsforscher und pensionierte Gymnasiallehrer von den bisherigen Preisträgern, der Redaktion der Vorarlberger Nachrichten und der Herausgeberfamilie.
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In Zeiten, in denen die Wahrheit verhandelbar wird, brauchen wir Menschen, die sie verteidigen.
Eugen A. Russ, Herausgeber VN
Meinrad Pichler stellt das bequeme Geschichtsverständnis in Vorarlberg seit nunmehr über 40 Jahren infrage. Fragen, die auch in die Gegenwart strahlen, erinnert Russ: 2017 wurden Russmedia und andere internationale Medienhäuser durch politischen Druck aus Ungarn gedrängt, aus unabhängigem Journalismus wurde eine gleichgeschaltete Medienlandschaft: “Heute berichten diese Redaktionen nicht mehr über die Regierung – sie berichten an die Regierung.”

Stochern im “braunen Sumpf”
Meinrad Pichler, 1947 in Hörbranz geboren, hat sich mit seiner beharrlichen Aufarbeitung der Vorarlberger Zeitgeschichte – insbesondere der NS-Zeit – bleibende Verdienste erworben. 1982 gründete er gemeinsam mit einer Gruppe junger Historiker die Johann-August-Malin-Gesellschaft, um gegen die Tabuisierung und Verharmlosung der braunen Vergangenheit im sogenannten “suberen Ländle” anzukämpfen.

Vor 40 Jahren – damals wurde mit Benedikt Bilgeri, einem früheren Lehrer Pichlers und ebenfalls einem Historiker, geehrt – war Vorarlberg noch ein anderes Land. Die damalige offizielle Landesgeschichte habe allzu oft den Wünschen ihrer Auftraggeber entsprochen. “Wir, meine Kollegen und Freunde von der Malin-Gesellschaft, dagegen waren als freie Autoren bisweilen eher ein Stachel in der dünnen Haut der Herrschenden”, betont Pichler.
Mit dem Sammelwerk “Nachträge zur Neueren Vorarlberger Landesgeschichte” stellten die jungen Historiker unbequeme Fragen und seien damit lange Zeit nicht willkommen gewesen. Ihrer Arbeit sei mit Skepsis bis Ablehnung begegnet worden. Der Zugang zu Archiven sei ihnen verwehrt worden, man habe sie in modrige Keller zum Handschriftenschreiben geschickt. Doch aufgegeben habe man nicht.
Wir, meine Kollegen und Freunde von der Johann-August-Malin-Gesellschaft, dagegen waren als freie Autoren bisweilen eher ein Stachel in der dünnen Haut der Herrschenden.
Meinrad Pichler, Russpreisträger
Pichler betonte die Bedeutung historischer Aufarbeitung für das Heute: “Mir war die Gegenwart des Landes und seiner Menschen immer wichtig”, sagte er. Geschichte sei für ihn ein “kollektiver Erfahrungspool”, aus dem die Gesellschaft schöpfen könne. Die vielen Biografien, die er erforscht habe, zeigten die sozialen und politischen Verhältnisse ihrer Zeit und wie Menschen unter bestimmten Rahmenbedingungen gelebt und gehandelt hätten. “Im Kleinen das Größere zeigen, war mir immer wichtig.”

Bewegende Dankesrede
In seiner bewegenden Rede bedankte sich Pichler nicht nur bei der Jury und der Herausgeberfamilie Russ, sondern auch bei langjährigen Wegbegleitern sowie seinen Mitstreitern. Dass seine Arbeit auf einer starken Gemeinschaft und tiefen Freundschaften beruht, zog sich wie ein roter Faden durch seine Worte.

Persönlich wurde es, als er an seine verstorbenen Eltern und an seine Geschwister dachte und seiner Frau Regina dankte, mit der er seit 52 Jahren verheiratet ist. Sie habe ihn stets begleitet, gefördert. “Nicht so sehr hinter mir, sondern neben mir”, wie er betonte.

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Zur Person: Meinrad Pichler
Für sein Lebenswerk wurde er im September 2025 mit dem 56. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preis und -Ring geehrt.
Geboren 18. November 1947 in Hörbranz
Bildungsweg Volksschule Hörbranz, BG Bregenz, Studium Lehramt Deutsch und Geschichte in Wien
Berufliche Karriere 1972 bis 1994 als Lehrer am BRG/BORG Dornbirn Schoren; 1994 bis 2010 Direktor am BG Bregenz Gallusstraße; seit 2010 in Pension
Bedeutendste Publikationen:
“Nachträge zur Vorarlberger Landesgeschichte”, “Von Herren und Menschen”, “Auswanderer”, “Nationalsozialismus in Vorarlberg”, “Dritter Band Vorarlberger Landesgeschichte 1861 bis 2015”, “Quergänge”, “Auswanderer”; sowie zahlreiche Aufsätze und Kommentare in den Vorarlberger Nachrichten
Familie Verheiratet, zwei Kinder, drei Enkel
Wohnhaft Bregenz