Leserbrief: Hermann Gmeiner – ist das alles noch verhältnismäßig?

Leserbriefe / 14.11.2025 • 10:50 Uhr
Leserbrief: Hermann Gmeiner – ist das alles noch verhältnismäßig?

Wir leben in einer hyperventilierenden Gesellschaft, die schnell urteilt, aber langsam versteht. Ein Paradebeispiel ist der mediale Umgang mit Hermann Gmeiner. Die aktuelle Debatte ist überfällig – doch maßlos überhitzt. Die Missbrauchsvorwürfe gegen Hermann Gmeiner basieren auf internen Dokumentationen, die erst ab 2013 entstanden. Vor diesem Jahr gibt es keine Notizen oder Akten zu den Vorwürfen. Die Schilderungen aus den 1950er- und 1980er-Jahren wurden Jahrzehnte später gemeldet und dokumentiert. Laut Organisation wurden die Fälle erst 2013 bekannt. Die neue Geschäftsführerin sowie die Medien spekulieren jedoch, interne Strukturen “könnten” eine frühere Dokumentation verhindert haben. Vorfälle seien “möglicherweise” ignoriert worden. Fakten auf Konjunktiv. Was tatsächlich feststeht: Die Anonymität der Betroffenen wird strikt gewahrt – ein ethischer Standard im Opferschutz, um Retraumatisierung zu verhindern. Keine weiteren Details, keine konkreten Informationen. Nur Schlagzeilen. Taten werden aus heutiger Sicht bewertet, mit dem aktuellen Verständnis von Kinderschutz und Missbrauch. Verhalten, das damals toleriert wurde, gilt heute als schweres Verbrechen. Die Organisation betont Vertraulichkeit. Reicht das aus, einen Menschen und sein Lebenswerk zu zerstören? Ist hier nicht eher eine mediale Vorverurteilung im Gange? Ist das Transparenz, die wir begrüßen sollten, oder interessengeleitete Unternehmenskommunikation, um sich neu zu positionieren? Ist das alles noch verhältnismäßig? Ich finde nicht.

Ferenc Chlumetzky,Schwarzach