Kanzler Kurz: “Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet”

Politik / 06.03.2020 • 07:00 Uhr
Kanzler Kurz: "Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet"
“Hamsterkäufe machen keinen Sinn. Was man tun sollte, ist, auf bestmögliche Hygiene zu achten”, betont Kanzler Kurz als Gast bei den VN. VN/STIPLOVSEK

Kanzler Sebastian Kurz (33) über das Coronavirus, eine mögliche Frontex-Mission in Griechenland und den Bau der S 18.

SChwarzach Türkise Unterstützung für schwarze Kandidaten: Kanzler Sebastian Kurz tourte gestern durch Vorarlberg und leistete Schützenhilfe im Gemeindewahlkampf. Den VN stand er zu aktuellen Themen Rede und Antwort.

Herr Bundeskanzler, verzichten Sie aufs Händeschütteln?

Kurz Ich lebe genauso weiter wie vorher und verzichte auch nicht aufs Händeschütteln. Was zutrifft: Wir erleben gerade politisch eine sehr intensive Phase. Wir wussten schon vor Wochen, dass sich Corona in Europa ausbreiten und um Österreich keinen Bogen machen wird. Wir haben versucht, uns bestmöglich darauf vorzubereiten. Wir bemühen uns von Tag zu Tag, alles zu tun, um eine Ausbreitung in Österreich einzudämmen. Selbst wenn es uns gelingt, eine Ausbreitung nur zu verzögern, dann ist das schon vorteilhaft. Zum ersten, weil es hoffentlich irgendwann einen Impfstoff gibt, zum zweiten, weil es hoffentlich bald zielgerichtete Medikamente zur Behandlung gibt. Und zum dritten, weil das Zusammentreffen der saisonalen Grippewelle und einer Corona-Ausbreitung zu Herausforderungen bei Spitalskapazitäten führen würde. Das ist der Grund, warum wir so entschlossen vorgehen und umsichtig agieren.

In der Schweiz sind Großevents verboten, bei uns finden Messen statt. Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Beurteilung?

Kurz Es gibt ein gut abgestimmtes Vorgehen innerhalb der EU, Patienten und gefährdete Kontaktpersonen sofort in Quarantäne zu nehmen oder häuslich zu isolieren. Das ist die beste Maßnahme um die Ausbreitung einzudämmen. Man muss jetzt täglich die Lage beurteilen und eventuell auch angepasst an eine neue Situation neue Entscheidungen treffen. Zum derzeitigen Zeitpunkt hätte eine wie in der Schweiz getroffene Lösung noch keinen Sinn ergeben. Wir befinden uns mitten in einer Anstrengung gegen die Ausweitung von Corona und es werden noch andere Phasen auf uns zukommen, die neue Entscheidungen notwendig machen.

Welche Szenarien wären das?

Kurz Grundsätzlich sind wir auf alle Szenarien vorbereitet. Derzeit wird jeder Einzelne in Quarantäne genommen, Menschen, die in Kontakt waren, häuslich isoliert. Gesundheitsministerium und Polizei versuchen gemeinsam, sogenannte Bewegungsprofile zu erstellen. Also bei jedem Einzelnen herauszufinden, mit wem hatte er intensiven Kontakt, wer ist potenziell gefährdet und wie können diese Menschen möglichst schnell für zwei Wochen isoliert werden? Darüber hinaus sind wir bei einer weiteren Ausbreitung darauf vorbereitet, Maßnahmen an Schulen, öffentlichen Einrichtungen, aber auch Unternehmen zu setzen. Wir sind mit Erlässen und dem Epidemiegesetz gut aufgestellt.

Das ist doch auch ein Moment des Wachrüttelns, wie schnell Medikamente knapp werden können, wenn 80 Prozent der Produktion im asiatischen Raum liegen.

Kurz Ein Thema, auf das ich seit Jahren hinweise. Es kann höchst problematisch sein, wenn Schlüsselindustrien strategisch wichtige Produktionen mehr und mehr nach China oder in andere Teile der Welt verlagern. Der Großteil der Medikamentenproduktion, aber auch die Produktion von Schutzmasken, findet in China statt. In einer Ausnahmesituation wird ein großer Teil nicht mehr exportiert. Das bestärkt mich darin, dass wir auf der EU-Ebene weiter Druck machen, dass strategisch wichtige Infrastruktur nicht ausverkauft werden darf und mehr und mehr wieder nach Europa zurückverlagert werden muss.

Wird es von der Regierung Hilfe für heimische Betriebe geben und wie geht es dem Bundeskanzler, wenn die Bürger offentlich solche Sorgen haben, dass sich zu Hamsterkäufen veranlasst fühlen?

Kurz Ja. Wir werden mit unterschiedlichen Maßnahmen versuchen, betroffene Betriebe bestmöglich zu unterstützen. Es wird einen Garantiefonds für klein- und mittelständische Unternehmen mit Liquiditätsschwierigkeiten geben. Zum Zweiten sind ähnliche Maßnahmen für den Tourismus vorgesehen und zum Dritten wird insbesondere für größere Betriebe auf das bewährte Modell der Kurzarbeit zugegriffen. Ich möchte eine Bitte an die Bevölkerung äußern: Hamsterkäufe machen keinen Sinn. Was man tun sollte, ist, auf bestmögliche Hygiene zu achten. Und wenn man Symptome hat, nicht zum Arzt oder in die Spitalsambulanz gehen und andere anstecken, sondern die Servicehotline 1450 wählen.

Zu den Geschehnissen an der türkisch-griechischen Grenze: Können Sie sich vorstellen, österreichische Soldaten zu einer Frontex-Mission zu entsenden?

Kurz Wir können uns jegliche Unterstützung für Griechenland vorstellen. Personell, finanziell und materiell. Wir sind mit Griechenland in Kontakt, am meisten Bedarf besteht dort derzeit im Bereich der Ausrüstung. Was Frontex betrifft, so unterstützen wir dies natürlich mit Beamten aus Österreich, die im Regelfall aus der Polizei kommen.

Welche Kommunikation mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan ist überhaupt möglich?

Kurz Wir hatten vor einer Woche keine humanitäre Krise in Griechenland und in der Türkei und wir hatten schon gar keine humanitäre Krise an der türkisch-griechischen Grenze. Die Menschen, die dort versuchen, die Grenze zu stürmen, sind keine Flüchtlinge, die gerade aus Syrien kommen. Es handelt sich um Menschen, die jahrelang in der Türkei leben und die von türkischen Behörden organisiert werden. Was hier versucht wird, ist Druck auf die EU auszuüben und uns zu erpressen. Wir dürfen uns nicht erpressen lassen und müssen Erdogan die Stirn bieten. Die jetzige Situation ist eine Bewährungsprobe: Sind wir als EU stark genug, unsere Außengrenzen zu schützen und bewahren wir ein Europa ohne Grenzen nach innen, oder sind wir schwach, erpressbar und geben vielleicht mittelfristig das Europa ohne Grenzen nach innen auf.

Noch zurück nach Vorarlberg: Ministerin Gewessler hat bei ihrem Besuch nicht sehr überzeugt von der S 18 gewirkt. Wird die Autobahnverbindung in die Schweiz von der Regierung unterstützt?

Kurz Selbstverständlich. LH Markus Wallner und ich sind gut abgestimmt, die S 18 ist ein gutes Projekt für Vorarlberg und wir unterstützen das Vorhaben, für dessen Bau die Verfahren bereits laufen.

„Ich lebe genauso weiter wie vorher und verzichte auch nicht aufs Händeschütteln.“

Sebastian Kurz, Bundeskanzler