Mobilität und Wintersport als Achillesferse

VN / 05.08.2022 • 07:00 Uhr
Mobilität und Wintersport als Achillesferse
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Landschaftsökologe Christian Baumgartner (55) über Beschneiung, Wanderwegerhaltung und touristische Herausforderungen.

Schwarzach Sommerzeit ist Haupturlaubszeit. So geht es für viele Vorarlberger derzeit auch wieder ans Wasser oder in die Berge. Naturerlebnisse wie Wandern oder Biken liegen nach zwei Jahren Pandemie und Klimadebatte im Trend. Das bestätigt auch Christian Baumgartner (55), Landschaftsökologe und Experte für nachhaltigen Tourismus.

Christian Baumgartner findet, dass die Auswirkungen des Klimawandels noch zu wenig Berücksichtigung im Vorarlberger Tourismuskonzept finden.<span class="copyright"> VN/Paulitsch</span>
Christian Baumgartner findet, dass die Auswirkungen des Klimawandels noch zu wenig Berücksichtigung im Vorarlberger Tourismuskonzept finden. VN/Paulitsch

In den Strategien der Tourismusregionen halten umwelt-, klima- und sozialfreundliche Faktoren zunehmend Einzug. Geht es nach Baumgartner, haben die Auswirkungen des Klimawandels im Vorarlberger Tourismuskonzept 2030 aber noch zu wenig Berücksichtigung bekommen.

Herr Baumgartner, wohin sind Sie zuletzt gereist?

Ich war jetzt zwei Wochen auf Korsika, bin geflogen und habe meinen Flug kompensiert (Emissionen werden dabei durch Klimaschutzprojekte ausgeglichen). Die Anreise mit Bahn und Fähre wäre hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks höher gewesen wäre, da die Schiffe mit Schweröl laufen. Auf Korsika bestand die Reise aus zwei Drittel Wandern, einem Drittel Strand sowie Kultur.

Viele reisen mit dem Auto oder dem Flugzeug. Haben die Pandemie und die Klimawandeldebatte Veränderungen beim Reisen angestoßen?

Die Klimadebatte ist durch Bilder von Bränden, Überschwemmungen oder dem Gletscherabbruch in der Marmolata im Bewusstsein angekommen. Das heißt aber noch nicht, dass sich das Reiseverhalten geändert hat. Es geht jetzt darum, genügend Mobilitätsmöglichkeiten in den Regionen anzubieten, damit auf das Auto verzichtet wird.

Inwiefern wird sich das Angebot für Urlauber durch den Klimawandel verändern?

Das ist schwierig zu generalisieren, weil das Klima kleinräumig unterschiedliche Auswirkungen haben wird. Verändern wird es den Wintersport. Höher gelegene Regionen werden profitieren. Mittlere Lagen benötigen neue Konzepte. Die Beschneiung funktioniert nur bei niedrigen Temperaturen und ist wie die Aufrechterhaltung der technischen Infrastruktur bei Schneemangel eine enorme finanzielle Belastung. Ich schätze das Vorarlberger Tourismuskonzept. Aber die Auswirkungen des Klimawandels wurden nicht berücksichtigt.

Hat das Klima auch Auswirkungen auf den Bergsport im Sommer?

Die Erhaltung der Wanderwege wird immer teurer. Es gibt immer mehr Schäden durch Auftauen von Permafrost, Vermurungen und Rutschungen. Alpine Vereine, Tourismusverbände oder Gemeinden werden die Kosten für die Wegesicherheit nicht mehr tragen können. Dies könnte dazu führen, dass Wege aufgegeben oder nur mehr auf eigenes Risiko zu begehen sein werden.  

Bergsport boomt. Wird der Trend weiter anhalten?

Ich denke, dass sich künftig wegen der Hitze immer mehr Familien dreimal überlegen werden, ob sie in den Süden fahren oder ihren Urlaub in den kühleren Bergen verbringen. Angebote für Biker und Wanderer sollten räumlich aufgesplittet werden.

Immer wieder fällt zwischendurch auch der Begriff Alpen-Disneyland. Wie stehen Sie dazu?

Heutzutage führen Aussichtsplattformen oder Hängebrücken im Hochgebirge zu einer gewissen Disneylandisierung. Ich denke nicht, dass das ein langfristiges Erfolgsmodell sein wird. Keiner reist extra wegen so etwas in ein Gebiet.

Wo sehen Sie für die Gemeinden touristische Herausforderungen?

Es wird den Blick über den Tellerrand brauchen. Die Herausforderung wird sein, in der Region noch stärker zusammenzuarbeiten und die Bevölkerung stärker einzubeziehen. Es geht darum, gemeinsam Grenzen zu definieren. Es braucht qualitativen Tourismus mit viel Wertschöpfung, der nicht überbordend ist.

Zu kämpfen hat die Branche auch mit Personalmangel. Wie könnten die Arbeitsplätze attraktiver werden?

Sich ein Beispiel an denen nehmen, die keine Probleme haben. Diese Betriebe gibt es nämlich auch. Es geht nicht nur um die Bezahlung, sondern auch um Respekt, Umgangsformen, familienfreundliche Arbeitszeiten, Qualität der Unterkünfte. Immer mehr Betriebe fangen jetzt mit einer 4-Tage-Woche an. Erste Rückmeldungen von Mitarbeitern, Betrieben und Gästen sind sehr gut.

Werden Urlaubsreisen künftig auch noch für Geringverdiener leistbar sein?

Es gibt nachhaltige Angebote in jedem Preissegment. Was das Thema Lebensmittel betrifft, so ist nachhaltig produziertes Fleisch aus der Region natürlich teurer als Fleisch aus Argentinien. Lieber einmal statt fünfmal die Woche Fleisch essen. Beim Reisen ist das auch so. Lieber einmal im Jahr länger reisen als fünfmal.

Zur Person

Christian Baumgartner ist Landschaftsökologe und Gründer des Unternehmens response&ability.

Wohnort Feldkirch

Alter 55

Bisherige Tätigkeiten u.a. Gründung des Instituts für Integrativen Tourismus und Entwicklung, Professur für Nachhaltigen Tourismus an der FH Chur, Lektorentätigkeit in Österreich, der Schweiz, Serbien und China, Mitglied zahlreicher Beratungsgremien von NGOs, Wirtschaftsverbänden, EU- und UN-Organisationen