Das Gegenteil
Ich erzähle von Zwillingen, beide um die fünfzig, stadtbekannt. Sie wohnen in einem verwunschenen Haus, ich will damit sagen, sie wohnen in einem Haus, in dem Wünsche erfüllt und nicht erfüllt werden. Zum einen betrifft es Ramona, die Dicke, die nie genug bekommen kann, und Sophia, die immer weniger wird.
Von Ramona heißt es, sie sei fresssüchtig, maßlos. Schwer an Gewicht. Kaum mehr zu tragen. Sophia dagegen lässt alles Essen übrig, und wenn sie Ramona zwingt, aufzuessen und dabeisitzt, um zu prüfen, ob sie es wirklich tut, die cremigen Nudeln hinunterschluckt, dann ist sie streng wie ein abgerichtetes Tier.
„Sie haben keine Männer, weil Männer solche Eskapaden nicht aushalten.“
Nach dem üppigen Essen muss Ramona sich hinlegen und von Würsten träumen, während Sophia den Zeigefinger in den Hals steckt und vor der Toilette kniet, als wolle sie beten. Geht Ramona in den Supermarkt, freut sie sich an den frischen Waren, den Rottönen vom Fleisch in der Metzgerabteilung. Man kennt sie dort und preist ihr frische Schweinelenden an. Sophia steht in der Obstabteilung. Sie trägt nur eine kleine Tasche bei sich, selber gehäkelt, in die gerade drei Marillen und ein Pfirsich passen. Es ist ein Kampf. Sophia flieht vor Ramona, weil sie fürchtet, beim Essen kontrolliert zu werden. Von selber isst sie nichts. Schluckt ein paar Schlucke vom Kamillentee, weil der Magen krampft. Sie haben keine Männer, weil Männer solche Eskapaden nicht aushalten. Sophia putzt das Haus mit Seifenwasser und Essig, während Ramona am Herd steht. In der Küche riecht es nach Safran. Ramona hat den besten Rotwein gekauft, den trinkt sie, während sie rührt. Was gerührt wird, riecht süß und ist blau. Heidelbeeren für Sophia, die wird sie wohl essen. Die hat sie immer geliebt. Als Kinder waren sie mit der Mama zum Heidelbeerpflücken. Einmal ist ein Eimer voll mit Heidelbeeren umgekippt, und die Mutter und die Zwillinge haben sich auf die Erde geworfen und sehr geweint.
Zum Glück sind die beiden reich, weil die Eltern viel Geld zurückgelassen haben. Das meiste wird für Essen ausgegeben. Hin und wieder ein teures Fähnchen für Sophia gekauft, das ihren mageren Körper verdecken soll. Ramona steht auf dehnbare Kleider. Die lassen sich auseinanderziehen, wenn wieder ein Fettpolster dazu gekommen ist.
Die Zwillinge sagen, dass sie sich lieben. Sie wollen niemals auseinander gehen.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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