Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Kommentar: Und was habt ihr diesen Sommer so gemacht?

VN / HEUTE • 16:00 Uhr

Meine Freundinnen schicken mir Bilder vom Meer, von Fischmärkten und von Vulkanen, während ich die Fenster putze und dann zuschaue, wie es mir in die frisch geputzten Fenster hineinregnet. Schön habt ihr’s! Ich bin gar nicht neidisch! Ich habe auch diesen Sommer das Meer gesehen, ich bin in Triest die Barcola entlang spaziert und ich hätte dabei locker eine von denen sein können, die nach Luft schnappend ins leider unerwartet kalte Wasser gelaufen sind. Aber es war mir dann doch zu frisch.

Meine Freundinnen und Freunde haben im Sommer tolle Sachen gemacht: Sie unternahmen mehrtägige Bergwanderungen mit ihren Kindern, sie radelten durch Frankreich, fraßen sich durch Italien, sie paddelten mit Kajaks auf tschechischen Flüssen. Toll! Und du so?

Ich? Na ja, ich saß mehr oder weniger den ganzen Sommer vor meinem Haus und sah der Wiese beim Wachsen und den Schmetterlingen beim Flattern zu. Zwischendurch bin ich im Wald spaziert und mit dem Rad an den See gefahren und im meistens auch kalten Wasser geschwommen. Ich wurde von den Nachbarn zum Grillen eingeladen und hatte viel Besuch von der Familie, von Freundinnen und Freunden. Vielleicht mache ich nächstes Jahr wieder einmal eine größere Reise, aber heuer war ich einfach nur daheim.

Und ich bin zufrieden damit, und dankbar, dass ich das konnte: einfach nur daheim sein. In Frieden hier vor meinem Haus sitzen und in meinen Garten schauen, auf ein Stück Erde, das mir Sicherheit gibt, Geborgenheit und sogar etwas zu essen, wenn die Schnecken nicht schneller sind.

Heutzutage ist das ein Privileg: einfach daheim bleiben zu können, in den eigenen vier Wänden. Eine Tür hinter sich zusperren können. In einem warmen, weichen Bett schlafen. Genug gutes Essen zu haben – auch wenn es immer teurer wird und die Inflation für immer mehr Menschen und Familien zum Problem.

Aber im Fernsehen, auf meinem gemütlichen Sofa, sah ich unlängst auf ARTE eine Reportage über eine Lehrerin, die im Norden von Vietnam, nur einen Urlaubsflug entfernt, in einer Bergschule unterrichtet, in einer Gegend, in der die Menschen sich und ihre Kinder überwiegend von Maisbrei ernähren, weil sie sich sonst nichts leisten können, nicht mal Reis.

Manchmal vergesse ich das. Dieses reine, pure Glück, dass die Geburtslotterie mich hier, in diesem wohlhabenden, schönen Land in die Welt warf, und nicht anderswo. Dass ich von lieben Menschen großgezogen wurde, eine gute Schulbildung bekam, eine Ausbildung und Chancen. Dass ich krankenversichert bin und nur dann bis 80 oder 90 arbeiten muss, wenn ich das selber will. Dass mir gerade nichts weh tut.

Und dann fällt es mir zum Glück wieder ein, und ich schaue dem Regen zu, wie er Schlieren durch meine frisch geputzten Fenster zieht, und es ist wunderbar.

Vielleicht mache ich nächstes Jahr wieder einmal eine größere Reise, aber heuer war ich einfach nur daheim.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.