Was den Prozess gegen den „Drogen-Rocker“ nun so richtig absurd macht

VN / 12.09.2024 • 17:49 Uhr
blaulicht gericht drogen
Der Angeklagte bei seiner Vorführung zur ersten Verhandlung Ende August am Landesgericht Feldkirch. Stiplovsek (2)

Ende im Verfahren gegen mutmaßlichen Großdealer ist nicht absehbar: Die Verteidigung verlangt erst die wortwörtliche Vorlesung von rund 10.000 (!) Seiten aus der Akte und den Chatprotokollen. Was das an Geduld, Zeit und Geld kosten dürfte.

Feldkirch Er soll zwischen 2020 und 2021 insgesamt 50 Kilogramm Kokain und 181 Kilogramm Cannabis nach Vorarlberg geschmuggelt oder von anderen schmuggeln lassen haben: Ein ehemaliger Boss eines berüchtigten MC-Clubs, jetzt Untersuchungshäftling in der Feldkircher Justizanstalt und angeklagt als einer der Hauptakteure eines großen Drogenrings, der im Jänner dieses Jahres anlässlich einer grenzübergreifenden Razzia der Polizei aufflog.

Die erste Hauptverhandlung gegen den 39-jährigen Unterländer fand am 29. August statt (die VN berichteten). Kurzum, und das gilt bis heute: Der Angeklagte ist nicht geständig. Von Beginn an nicht. Außer den Worten „Nicht schuldig!“ schweigt er zu den Vorwürfen.

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Der Beschuldigte äußerte sich bis jetzt nicht zu den Vorwürfen – außer, dass er nicht geständig ist.

Anspruchsvolle Verteidigung

Anders seine Verteidigung, die sich aus einer prominenten Anwaltschaft rekrutiert. Denn da werfen sich nicht nur die Lustenauer Rechtsanwältin Olivia Lerch, sondern auch die recht populären Advokaten Roland Kier und Andreas Schweitzer aus Wien kraftvoll für ihren Mandanten ins Zeug. Freispruch im Zweifel ist das Ziel, das sie anstreben. Und für das sie jedes juristische Register ziehen.

Was den Prozess gegen den „Drogen-Rocker“ nun so richtig absurd macht
Diese Verteidiger wollten die “Haltlosigkeit” der Vorwürfe beweisen (v.l.): Roland Kier, Andreas Schweitzer und Olivia Lerch.

Die Vorwürfe des Staatsanwaltes seien „haltlos und unwahr“, will die Verteidigungsriege beweisen. Den Inhalt von angeblich belastenden Chatdaten auf einem ominösen Handy, die das französische Innenministerium an die österreichische Polizei übermittelte, zweifelt sie an. Sie verlangt die Rohdaten.

Richter Alexander Wehinger bot bei der ersten Verhandlung die Verlesung des Akteninhalts an. Doch dem stimmten Lerch, Kier und Schweitzer nicht zu. Denn damit würden sie sich mit diesem Inhalt einverstanden erklären. Die dreiköpfige Verteidigung fordert nun vielmehr, dass nicht nur die Akte, die allein 3960 Seiten umfasst, sondern auch die Chatprotokolle (rund 6000 Seiten) wortwörtlich vorgelesen werden. Und das Satz für Satz. Unter Umständen aus 10.000 Seiten. Weil das relevant sei, um hier alles genau erörtern zu können.

Verhandlung vertagt

Die Verhandlung wurde aus diesem Grund auf unbestimmte Zeit vertagt. Der vorsitzende Richter des Schöffensenats, Alexander Wehinger, muss jetzt erst aus dem ganzen Material einen „beweiswürdigen Inhalt“ herausfiltern. Erst dann kann er einen Termin für die Fortsetzung des Verfahrens anberaumen.

Doch schon jetzt dürfte feststehen: Auf die Prozessbeteiligten warten lange Lesestunden. Unter Umständen wochenlange Lesestunden – wenn nicht monatelange.

Hoher Seltenheitswert

Laut Richter Dietmar Nußbaumer, Pressesprecher des Landesgerichtes Feldkirch, haben die wortwörtlichen Vorlesungen von Akten einen hohen Seltenheitswert. „Ich kann mich nur an einen einzigen ähnlichen Fall an einem Wiener Gericht erinnern, in dem wochenlang nur vorgelesen wurde“, so der erfahrene Richter gegenüber den VN. Doch jeder Angeklagte habe das Recht, das zu verlangen.

Die Kostenfrage

Zeit ist Geld. Das gilt auch für gerichtliche Verfahren. So hat die Justiz die Möglichkeit, die entstandenen gerichtlichen Pauschalkosten einer Verhandlung von einem Angeklagten zurückzufordern, sofern er schuldig gesprochen wird. Untergrenze sind 250 Euro, die Obergrenze 5000 Euro. Was – wie es im aktuellen Fall zu erwarten sein dürfte – darüber hinaus geht, hat der Bund zu zahlen.

Für die Anwaltskosten seiner Verteidigung muss der Beschuldigte selbst aufkommen. Sofern ihm vom Gericht kein Verfahrenshelfer gestellt worden ist. Was beim Drogendelinquenten, um den es hier geht, ja nicht der Fall ist. Ihn dürfte diesbezüglich eine Kostenexplosion erwarten. So oder so, auch im Falle eines Freispruchs.

Olivia Lerch
Wie immer entschlossen in der Verteidigung: Rechtsanwältin Olivia Lerch, die auf eine Fortsetzung des Verfahrens gegen ihren Mandanten drängt. fotostudio Fasching

Das Beschleunigungsgebot

Der vorsitzende Richter steht laufenden Prozess gegen den „Drogen-Rocker“ unter Zeitdruck. Verteidigerin Olivia Lerch begründet dies mit dem „Beschleunigungsgebot“, das hier gilt. „Unser Mandant befindet sich immerhin in Haft und hat Anspruch auf Beendigung des Verfahrens ohne unnötige Verzögerung.“

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