Vorarlbergs Jäger im Schussfeld von “Wildes Bayern”

VN / 10.01.2025 • 17:38 Uhr
Gamsjagd
Vorarlberger Waidmänner mit erlegtem Wild: Eine Gams sollte derzeit nicht am Stock hängen. Ludwig Berchtold

Werden im Bezirk Bludenz derzeit illegal Gämse erlegt? Seit dem 30. Dezember 2024 ist die Gamsjagd dort nämlich nicht mehr erlaubt. Zumindest vorläufig nicht.

Bregenz, Bludenz Er soll dem Schutz des Schutzwaldes dienen: Der „Freihaltungsbescheid“. Ein bürokratisch klingender Begriff, unter dem allerdings eine recht rigide Bewilligung zu verstehen ist: So darf Gams-, Reh- und Rotwild an zahlreichen Stellen in Vorarlberg von Jägern erlegt werden. Und zwar ganzjährig und schrankenlos, ohne Schonzeit und ohne Limit. Doch nun geraten die Jäger selbst ins Visier.

Beschwerde von “Wildes Bayern”

Der Protest gegen den Freihaltungsbescheid kam aus Bayern. Besser gesagt, aus „Wildes Bayern“, einem in Bayern und Österreich anerkannten Naturschutzverein. Erste Vorsitzende der Organisation ist Christine Miller. Die engagierte Naturschützerin sieht in den Vorarlberger Freihaltungsbescheiden einen Missstand und legte dagegen Beschwerden beim zuständigen Landesverwaltungsgericht in Bregenz ein. Exemplarisch gegen den Bezirk Bludenz. Mit Erfolg, wie aus dem Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes vom 30. Dezember 2024 hervorgeht. Denn sämtliche Bescheide über sogenannte Freihaltungen von Gamswild wurden ab diesem Datum aufgehoben.   

Gamsjagd
Auch Gämse genießen europarechtlich einen Artenschutz. Land Vorarlberg

Begründung: Die Gams steht als Art von gemeinschaftlicher Bedeutung in Anhang V der sogenannten FFH-Richtlinie. Somit darf sie zwar bejagt werden, doch nur dann, wenn zuvor ermittelt wurde, dass sich die Population in einem günstigen Erhaltungszustand befindet und sichergestellt ist, dass sich dieser Zustand durch die Bejagung auch nicht verschlechtert. 

Christine Miller
Engagiert sich für das Gamswild auch in Vorarlberg: Christine Miller, Vorsitzende des Vereins “Wildes Bayern”. wildes bayern

“Vermeidung von Wildschäden”

Beide Punkte seien von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz laut „Wildes Bayern“ allerdings weder geprüft noch berücksichtigt worden, bevor sie im August 2024 die ganzjährigen Freihaltungen bis zum Jahr 2031 anordnete. Stattdessen habe die Behörde pauschal mit der “Vermeidung von Wildschäden” argumentiert.

Das Verwaltungsgericht ging deshalb vom „Fehlen notwendiger Sachverhaltsermittlungen in zentralen Punkten aus“, wie es in der Begründung heißt. Die betreffende Behörde habe die unionsrechtlichen Bestimmungen offenbar nicht berücksichtigt. 

An die Behörde zurückverwiesen

Das Verwaltungsgericht hob also alle angefochtenen Bescheide auf und verwies die Angelegenheit an die Behörde zurück. Diese sieht sich jetzt mit der Aufgabe konfrontiert, festzustellen, ob ein günstiger oder ungünstiger Erhaltungszustand der Gamswildbestände vorliegt, welche Auswirkungen die Freihaltung auf die noch verbleibenden Gamswildbestände hat und ob bzw. in welchem Ausmaß das Gamswild überhaupt für die in der Begründung angeführten Verbissschäden verantwortlich ist.

Stellungnahme aus Bludenz

Von den VN damit konfrontiert, bestätigt Klaus Heingärtner, stellvertretender Bezirkshauptmann von Bludenz, die Verfügung des Verwaltungsgerichts. „Aber wir dürfen die Schutzfunktion des Waldes gerade hinsichtlich der Topografie des Bezirkes Bludenz nicht außer Acht lassen. Wir werden den Erhaltungszustand des Gamswildes und das Gefahrenpotenzial evaluieren und nach Lösungsansätzen suchen. Schließlich geht es auch um den Schutz des Menschen“, so Heingärtner.

“Landesweite Bedeutung”

Laut „Wildes Bayern“ habe der Beschluss auch landesweite Bedeutung für Vorarlberg. „Denn auch die Bescheide der anderen Vorarlberger Bezirkshauptmannschaften sind aus den gleichen Gründen nicht gesetzeskonform und deshalb illegal und anfechtbar“, so Christine Miller, die noch betont: „Vorarlberg sollte einfach die `Reset´-Taste drücken und das Ganze legal neu aufziehen.“ 

Gernot Heigl
Gernot Heigl, Geschäftsführer der Vorarlberger Jägerschaft. Sams

Das sagt die Jägerschaft

Gernot Heigle ist Geschäftsführer der Vorarlberger Jägerschaft, über die Aufhebungen der Freihaltungsbescheide informiert und stößt in dieselbe Richtung wie „Wildes Bayern“. Seine Stellungnahme gegenüber den VN: „Dieser Vorstoß der bayrischen Naturschutzorganisation kam für uns nicht überraschend. Wir Jäger wurden vom Land Vorarlberg nie beauftragt, mit Ausnahme von gewissen anderen Wildarten  – wie etwa alle zwei Jahre bei den Birkhühnern – die Population von Gams und Steinwild zu kontrollieren und hatten somit auch nicht die rechtliche Möglichkeit eines Monitorings. Es ist auch unsere Forderung, dass sich die großflächige Population des Gamswilds in einem günstigen Erhaltungszustand befindet und auch wir werden in diese Richtung vorstoßen.“

Schleppende Information

Offenbar sind noch nicht alle Jäger über den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes informiert worden, befürchtet Naturschützerin Miller, wie sie gegenüber den VN am Freitag sagte: „In Gesprächen mit einigen Jägern in Vorarlberg habe ich erfahren, dass die Behörde die Jäger offensichtlich nicht über die Aufhebung der Bescheide informiert hat. Das wäre wirklich sehr bedenklich, denn anscheinend sind auch zwischen dem 30. Dezember und heute bereits Gämse erlegt worden. Die betreffenden Jäger haben dann wohl illegal die Tiere geschossen und könnten somit sogar den Jagdschein verlieren. Die Jägerschaft wird hier diese Fälle wohl noch genauer untersuchen müssen.“ 

Vorarlbergs Jäger im Schussfeld von "Wildes Bayern"

Das sagt der zuständige Landesrat Christian Gantner auf die Anfragen der VN:

Warum wurden in Bludenz die Freihaltungen für die Gams bis 2031 genehmigt, ohne den Zustand der Gams-Population zu prüfen?

Die Gamspopulationen werden sehr wohl geprüft, sie werden streng überwacht. So ist jeder Gams-Abschuss der Behörde innerhalb einer Woche zu melden und alle zugehörigen Beweisstücke (Trophäen) einmal im Jahr der Behörde (im Rahmen der Hegeschau) vorzulegen. Auch aufgefundenes Fallwild ist der Behörde zu melden. Gamswild unterliegt einer behördlichen Abschussplanung. Dabei werden die Gamspopulationen und ihr Zustand (hinsichtlich Gesundheit, Geschlechterverhältnis, usw.) berücksichtigt. Die Planung erfolgt alle zwei Jahre, wobei die Planzahlen pro Jagdjahr festgelegt werden.

Wie konnte es zur Ausstellung so langer Bescheide kommen, obwohl die Gams laut FFH-Richtlinie nur bejagt werden darf, wenn die Population in einem günstigen Erhaltungszustand ist?

Die Gamspopulationen sind in einem günstigen Erhaltungszustand. Wäre dies nicht der Fall, würde dies sehr wohl berücksichtigt werden. Freihaltungen werden in der Regel in Schutzwald-Gebieten und in Flächenwirtschaftlichen Projekten der Wildbach- und Lawinenverbauung angeordnet, die meist wichtige Schutzfunktionen für die darunterliegenden Siedlungsräume haben. Dort wird oftmals neu aufgeforstet. Die Langfristigkeit ergibt sich aus dem eher langsamen Wachstum der Aufforstungen in Hochlagen.

Wie stellt sich die Situation in den anderen Bezirken dar?

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens beim Landesverwaltungsgericht waren die im Bezirk Bludenz ergangenen Freihaltebescheide. Etwaige Bescheide in anderen Bezirken waren nicht Verfahrensgegenstand.

Wie und wann wurde die Jägerschaft über die Aufhebung der Bescheide informiert?

Die betroffenen Jagdnutzungsberechtigten werden derzeit von der Behörde schriftlich informiert.

Was wird jetzt getan, um sicherzustellen, dass zukünftige Bescheide den rechtlichen Vorgaben entsprechen?

In den Begründungen der Bescheide wird der Erhaltungszustand der Gams noch stärker dargelegt, sodass auch den EU-rechtlichen Vorgaben entsprochen ist.

Wie wird nun geprüft, ob ein günstiger oder ungünstiger Erhaltungszustand der Gamswildbestände vorliegt, welche Auswirkungen die Freihaltungen hatten und ob das Gamswild überhaupt für die angeführten Verbissschäden verantwortlich ist?

Diese Prüfung erfolgt auf Grundlage eines Amtssachverständigengutachtens, welches sich primär auf das vorliegende Datenmaterial, insbesondere der langjährigen Abschussstrukturen und Ergebnisse der Bestandserhebungen von Gamswild stützt. Aufgrund der Feststellung eines erhöhten Vorkommens von Gamswild in Schutzwaldproblemgebieten ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Gamswild an den Verbissschäden maßgeblich beteiligt ist, aus fachlicher Sicht als sehr hoch einzuschätzen.