Gesichter der Geopolitik

VN / 08.03.2025 • 00:01 Uhr
Gesichter der Geopolitik

Zensur und Propaganda, als Auslands­korrespondentin hat Miriam Beller beides hautnah erlebt. Ihre Zeit in Russland zeigte ihr, warum unabhängiger Journa­lismus wichtiger ist, denn je. Um immer ­genügend Energie für ihre anspruchsvollen Aufgaben zu haben, braucht es auch Momente, um durchzuatmen.

Miriam Beller hat mit ihren 36 Jahren bereits einen beeindruckenden Karriereweg zurückgelegt. Die Vorarlbergerin studierte Internationale Entwicklung in Wien und startete vor 12 Jahren ihre praktische Laufbahn beim ORF-Magazin „Weltjournal“. Dies entflammte dann auch ihre Leidenschaft für ansonsten vielleicht ungehörte Geschichten.

Prägende Begegnungen

Fünf Monate vor dem Februar 2022, als Russ­land die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat, trat Miriam ihre Stelle als ORF-Auslandskorrespondentin in Moskau an. Bis September 2023 waren sie und der Journalist Paul Krisai mit Berichten über geopolitische Entwicklungen in den ZiB-Nachrichtensendungen zu sehen. Heute ist sie zurück in Wien. „Zwei Jahre unter Militärzensur, autoritärem Regime und ständiger Denunziation zu arbeiten, schärft den Blick – für Themen und die Menschen dahinter“, sagt Miriam. „Die vielen Begegnungen sind genau das, was mich jeden Tag gerne zur Arbeit gehen lässt. “

Die vielleicht erschütterndste hatte sie in St. Petersburg mit einem geflüchteten Ehepaar aus Mariupol. „Viktoria war im neunten Monat schwanger, verlor bei einem Bombenangriff auf eine Kinderklinik ihr Baby und überlebte selbst nur knapp. Ihr Ehemann, Wladimir, erlitt bei einem anderen Bombenangriff so schwere Verletzungen, dass ihm das linke Bein amputiert werden musste – er schwebte in Lebensgefahr. Vier Wochen wussten sie nicht, ob der andere noch lebte. Da es keine Fluchtwege in den Wes­ten gab, mussten sie zunächst nach Russland fliehen. Von dort half ihnen ein russischer Pfarrer bei der Weiterreise nach Deutschland.“ Vor allem die gegenseitige Wertschätzung beeindruckte Miriam.

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Realität vs. Propaganda

„Es war schwierig, aus dieser Scheinwelt herauszukommen. Nach der Arbeit gehst du nicht einfach nach Hause, sondern du lebst in dem Land, in dem dieser Krieg offiziell nicht stattfindet.“ Umso motivierender war es, als sie 2022 zusammen mit Paul Krisai und Kollegin Carola Schneider den Robert-Hochner-Sonderpreis für herausragende Berichterstattung verliehen bekamen. Ebenso war das Buch „Russland von innen“, das sie mit Paul Krisai nach ihrer Rückkehr schrieb, für beide eine Art Aufarbeitung des Erlebten: „Der Austausch mit dem Publikum auf unserer Lese-Tour war eine schöne und wichtige Erfahrung – vor allem, wenn man sonst nur in eine Kamera ohne Gegenüber spricht“, erzählt Miriam.

Gefährdete Pressefreiheit

„Ich habe im Laufe meiner Arbeit gelernt, dass man am meisten wächst, wenn man sich auf unbekannte Situationen einlässt“, sagt sie. „Es ist mir wichtig, kritische Geschichten aus Weltregionen abseits der Schlagzeilen zu erzählen.“ Unabhängiger Journalismus gerät weltweit unter Druck – eine Entwicklung, die Miriam mit Sorge beobachtet. „In Russland ist Journalismus in seiner freien Form kaum mehr möglich. Doch auch in Europa gibt es besorgniserregende Entwicklungen – etwa in der Slowakei, wo die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk praktisch abgeschafft hat.“ Sie betont, wie wichtig es sei, auch in Österreich wachsam zu sein: „Unabhängiger Journalismus muss erhalten bleiben – egal ob Fernsehen, Radio oder Print. Seine Finanzierung wird eine der zentralen Fragen der kommenden Jahre sein.“ Miriam Beller kennt die Herausforderungen der Branche – aktuell arbeitet sie in der ZiB-Auslandsredaktion und berichtete zuletzt u. a. intensiv aus Georgien. Gerade deshalb sei es maßgeblich, dass junge Journalist:innen mutig und beharrlich arbeiten. „Seid lästig und lasst euch nicht abwimmeln“, gibt Miriam jungen Kolleg:innen mit auf den Weg.

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Pause für den Kopf

Neben aller Begeisterung für den Journalismus braucht es auch Momente des Ausgleichs. Zum einen gibt ihr die Natur beim Wandern und Sport viel Kraft. „Ich bin unglaublich gerne draußen.“ Zum anderen kann sie beim Lesen, Musikhören, Stricken und Häkeln richtig relaxen. „Manchmal braucht es Dinge, die mit den Händen oder den Füßen zu tun haben, um den Kopf auszuschalten“, erzählt Miriam. Diese Ruhepausen geben ihr neue Energie, um sich wieder den Herausforderungen des Journalismus zu stellen. Für die Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, die sonst vielleicht ungehört blieben.

Fotos: Fotos: ORF, Martin Krachler

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