„Grüß Gott, die Fahrscheine bitte“ – Unterwegs mit Zugbegleiterin Gerda

Gerda Rauch hat sich mit 50 Jahren zur Zugbegleiterin umschulen lassen. Auf der Strecke von Bludenz nach Lindau gibt sie den VN einen Einblick in ihren Beruf, den sie mit Begeisterung ausübt.
Bludenz Bahnsteig 1 in Bludenz. Es ist 9.47 Uhr. In 13 Minuten fährt der REX nach Lindau-Insel. Zugführerin Gertrud Rauch, genannt Gerda, wohnt in Bludenz, wartet in Berufskleidung mit roter Krawatte am Bahnsteig. Sie kontrolliert die Fahrscheine bis Lindau-Insel und retour nach Feldkirch. Der Zug ist voll.
Den Rollkoffer stellt sie in den Führerstand. Ihre Umhängetasche mit Portemonnaie, Taschenlampe, Signalkellen, Pfeife, Drucker, Pinpad, Unterlagen, Warnweste und Prägezange trägt sie immer bei sich.

„Grüß Gott, die Fahrscheine bitte.“ Gerda ist eine von 50 Zugbegleitern in Vorarlberg, 21 davon sind Frauen. Alle Soll-Stellen in Vorarlberg sind besetzt, die Zahl der Zugbegleiter hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Seit fünfeinhalb Jahren ist die 55-Jährige bei der ÖBB – ein später Berufswechsel, den sie nie bereut hat. Der Umgang mit Gästen ist geblieben: Früher waren es Hotel- und Restaurantgäste, heute Fahrgäste.

„Ich war 25 Jahre im Hotel- und Gastgewerbe tätig“, erzählt sie. Nach der Matura ihrer Tochter wollte sie wieder Vollzeit arbeiten – aber nicht mehr im Gastgewerbe. „Ein guter Kollege ist begeisterter Lokführer.“ Doch Technik war nicht ihr Ding. Sie wollte mit Menschen arbeiten. Also begann sie bei der ÖBB die Ausbildung zur Zugbegleiterin.

Erst kam der zweimonatige SKT-Kurs, mit dem sie bereits Tickets kontrollieren konnte. Die zweite Ausbildung zur Zugchefin beinhaltete betriebliche Abläufe im Fernverkehr. „Ich mag die Abwechslung.“ Sie fährt mit dem Railjet bis Innsbruck, mit dem REX bis Lindau und mit dem Orientexpress in die Schweiz. Besonders liebt sie das Klostertal und den Bodensee.

„Grüß Gott, die Fahrscheine bitte.“ Gerda scannt mit ihrem Handy die QR-Codes auf den Tickets und prüft ihre Gültigkeit. Ein Jugendlicher reagiert nicht. Er schläft. Sie rüttelt ihn sanft: „Guten Morgen.“ Langsam wacht er auf und zeigt ihr sein Ticket.

Bei einem Railjet muss Gerda noch selbst die Türen verriegeln, beim REX und der S-Bahn schließen die Türen automatisch. „Es ist technisch nicht notwendig, dass man jeden Zug mit einem Zugbegleiter bestückt“, sagt ÖBB-Pressesprecher Christoph Gasser-Mair. Einzig für die Ticketkontrolle brauche es in den Nahverkehrszügen Zugbegleiter. „Es gibt ein abgestimmtes Radl, auf welchen Zügen kontrolliert wird.“

Gerda begann an diesem Freitag um 5.58 Uhr, oft dauern ihre Dienste zwölf Stunden. Nach drei Tagen Arbeit hat sie drei Tage frei. „Jetzt habe ich öfter frei als im Gastgewerbe.“

98 Prozent der Fahrgäste sind freundlich – und haben ein Ticket. Ausnahmen gibt es. Doch Gerda ist kulant: Senioren, Kinder oder Menschen mit Behinderung zahlen nicht nach. Anderen droht eine Fahrgeldnachforderung von 135 Euro (Überweisung) oder 105 Euro (Sofortzahlung).

„Fair, aber konsequent“, lautet die Devise, mit der Gerda die Tickets kontrolliert. Dabei beurteilt sie die Situation immer wieder neu und straft mit Augenmaß. Die Zusammenarbeit mit der Polizei sei gut. Am Abend begleitet sie ein Security-Mitarbeiter.

„Natürlich gibt es notorische Schwarzfahrer, doch ich springe keinem nach. Man sieht sich immer zweimal im Leben“, sagt sie. Wer kein Ticket hat, muss aussteigen. Die Polizei ruft sie nur im Notfall. „Wegen einer Lappalie rufe ich nicht an.“

Als Zugbegleiterin ist sie vor allem eines: Ansprechpartnerin – gerade bei Verspätungen oder Problemen. Zwischen Bludenz und Lindau geht sie je nach Auslastung zwei- bis dreimal durch den Zug – das sind täglich bis zu 15.000 Schritte. Kurz vor Lindau-Reutin stoppt der Zug: Gerda geht zum Lokführer vor und erkundigt sich, was los sei. Nur ein Gleis sei befahrbar. Man müsse warten, bis dieses frei sei. In Lindau-Insel hat der REX einen 20-minütigen Aufenthalt, dann geht es retour nach Feldkirch.

„Grüß Gott, die Fahrscheine bitte.“ Ein Mann kann nur ein abgelaufenes Ticket vorzeigen. „Haben Sie eine neue Vorteilskarte auch? Die hier ist abgelaufen“, fragt Gerda den Fahrgast. Er verneint. Doch statt eine Fahrgeldnachforderung zu verlangen, verkauft sie ihm eine VVV-Einzelfahrt. „Das war jetzt die nette Variante. Ich hätte das Recht gehabt, 105 Euro zu verlangen, doch ich war jetzt großzügig“, erklärt sie.

In Feldkirch ist Endstation. Gerda holt ihren Koffer aus dem Führerstand und steigt aus. Jetzt hat sie Mittagspause. Gerda hat bei der ÖBB ihre Erfüllung gefunden und will hier in Pension gehen. Und wenn man sie lächeln sieht, während sie Fahrkarten kontrolliert, glaubt man ihr das sofort.
