Wenn Geschichte weitergeschrieben wird

Christoph Volaucnik übergibt das Stadtarchiv Feldkirch an Jennifer Moritz.
Feldkirch Es riecht nach Papier, Geschichte und einem Hauch von Wehmut: Im Feldkircher Stadtarchiv beginnt ein neues Kapitel. Nach 34 Jahren verabschiedet sich Christoph Volaucnik in die Pension. Mit Jennifer Moritz übernimmt eine Archivarin, die durch ihre Leidenschaft für historische Quellen und Literatur von Innsbruck über Weimar bis an die Ufer der Ill gelangt ist. Zwei Persönlichkeiten, ein gemeinsamer Auftrag: das Gedächtnis der Stadt zu bewahren.
Traurig sei er, sagt Volaucnik, wenn er auf seinen Abschied angesprochen wird. Und ergänzt, dass einen so ein Beruf nicht so schnell loslässt. Über drei Jahrzehnte lang hat er das Archiv geprägt, hat Akten gesichtet, Ausstellungen gestaltet, Geschichten vermittelt. Besonders nahe gingen ihm die Gespräche mit Zeitzeugen, etwa mit Menschen, die den Bombenangriff auf Feldkirch im Jahr 1943 erlebt haben. „Wenn man den Leuten so zuhört, das ist schon sehr bewegend.“

Ein Archiv im Wandel
Die neue Leiterin Jennifer Moritz übernimmt ein gewachsenes, lebendiges Haus und bringt gleichzeitig frische Perspektiven mit. Ihre berufliche Reise führte sie über das Brenner-Archiv in Innsbruck und das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar bis an die Universitäts- und Landesbibliothek Tirol. Der Wechsel nach Feldkirch war für sie mehr als ein Job: „Die Formulierung der Stellenausschreibung hat mich sehr angesprochen. Es ging darum, eine Persönlichkeit zu finden, die dieses große Erbe antritt.“
Der Wandel, den das Archiv in dieser Zeit vollzogen hat, ist enorm. Volaucnik erinnert sich: „Als ich angefangen habe, waren die Akten in so alten Umschlägen. Heute haben wir spezielle Archivschachteln, säurefrei, damit die Unterlagen lange erhalten bleiben.“ Noch deutlicher zeigt sich die Veränderung in der digitalen Transformation: „Früher waren es sehr viele Familienforscher, die mit Originalquellen gearbeitet haben. Heute machen sie das alles online.“
Schätze für nächste Generation
Für Moritz ist das Stadtarchiv mehr als ein Aufbewahrungsort: „Ein Archiv ist etwas Organisches, ein eigener Organismus. Ein Archiv ist voller Geschichten. Diese Geschichten wie einen Schatz zu heben, das ist für mich der spannendste Teil.“ Sie will Bewährtes fortführen, aber auch neue Wege beschreiten, insbesondere im Dialog mit jungen Menschen. „Kinder und Jugendliche sind per se an Geschichte interessiert. Der Mensch ist dafür gemacht, wissen zu wollen, woher er kommt.“ Auch ihr Vorgänger sieht darin eine wichtige Aufgabe. Er erinnert sich an Führungen mit Schulklassen: „Die Kinder haben oft Fragen gestellt und ich bin erstaunt, was ihnen alles auffällt.“ Geschichte lebendig und nahbar zu machen, war ihm immer ein Herzensanliegen – ob durch Ausstellungen zu Hochwassern, Publikationen oder Begegnungen mit Zeitzeugen. Seine Bilanz zieht er mit Bescheidenheit: „Man lernt nie aus.“

Fortsetzung und Neuanfang
In der Pension will Volaucnik endlich jene Bücher lesen, die bisher nur Staub angesetzt haben und sich weiterhin über die Rheticus-Gesellschaft und kunsthistorisches Interesse mit Geschichte beschäftigen. Ganz loslassen wird er das Archivwesen wohl nie.
Moritz wiederum betont die Kontinuität. „Das Archiv ist ein Fels in der Brandung, aber nicht unerschütterlich Ich darf jetzt anschließen und fortsetzen, was in den letzten 34 Jahren aufgebaut wurde und dabei auch meinen eigenen Fingerabdruck hinterlassen, wobei ein Schwerpunkt die digitale Transformation sein wird.“ Für sie beginnt das neue Kapitel mit dem Kennenlernen der Bestände, der Menschen, der Verwaltungsstruktur. Doch eines steht schon jetzt fest: „Ein Archiv lebt durch die Menschen, die es gestalten, aber auch durch diejenigen, die es benutzen.“ Und so bleibt am Ende der Eindruck von zwei Menschen, die mit Herz und Verstand für Geschichte brennen. MAF
zu den personen
JENNIFER MORITZ
ALTER 54
WOHNORT Feldkirch
BERUF Archivarin
FAMILIE zwei Kinder (28 und 23 Jahre), ein Hund
HOBBYS ihr Hund, Lyrik, Deutsche Klassik, Essen
CHRISTOPH VOLAUCNIK
ALTER 64
WOHNORT Feldkirch Tisis
BERUF ehemaliger Stadtarchivar
FAMILIE verheiratet, zwei Töchter
HOBBYS Kunst, Lesen, Rheticus Mitglied-Vorstand