Es war eine sehr lange Reise

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Samvel Adamyan sieht im Sport einen wichtigen Weg zur Integration. HRJ
Samvel Adamyan sieht im Sport einen wichtigen Weg zur Integration. Heidi Rinke-Jarosch

Judo-Meister Samvel Adamyan wird in Vorarlberg als Integrationsexperte geschätzt.

Bregenz Samvel Adamyan lässt sich auf dem Sofa im Wohnzimmer nieder. Er ist gerade vom Training nach Hause gekommen. Seit 18 Jahren ist der Profisportler aus Armenien in Vorarlberg. Sein Herkunftsland verließ er, weil er ein Leben in Würde und ohne Angst suchte. Heute, an einem Mittwochnachmittag, gewährt er Einblicke in seine Geschichte. 

Der gebürtige Armenier gewährt Einblicke in seine Geschichte, die vor 46 Jahren begonnen hat. HRJ
Der gebürtige Armenier gewährt Einblicke in seine Geschichte, die vor 46 Jahren begonnen hat. HRJ

Armenien war noch Teil der Sowjetunion, als Samvel am 6. November 1978 geboren wurde. Er wuchs mit zwei Brüdern in Spitak auf, einer Kleinstadt im Norden Armeniens mit rund 20.000 Einwohnern. Im Dezember 1988 erschütterte ein schweres Erdbeben den Nordosten des Landes. 25.000 Tote gab es allein in Spitak. Die schrecklichen Bilder bleiben Samvel, damals zehn Jahre alt, immer im Kopf. Im gleichen Jahr war zwischen Armenien und Aserbaidschan Krieg um die Region Bergkarabach ausgebrochen. Die Folgen waren auch in Spitak deutlich spürbar.

Zwischen den Fronten

Samvel absolvierte nach der Grundschule die Sportschule, arbeitete dann als Sportlehrer, heimste Medaillen als Judoka-Staatsmeister und als Ringer ein. Während der Konflikt im Grenzgebiet zu Aserbaidschan immer wieder aufflammt, kommt es auch innerhalb von Armenien häufig zu gewaltsamen Unruhen. Samvel geriet irgendwann zwischen die Fronten. Als man ihm droht, ihn umzubringen, flüchtete er. Nach Russland. In Moskau stieg er in den Laderaum eines LKWs, der Richtung Österreich rollte. Wie viele Tage er zwischen den Paletten gekauert hat, weiß Samvel nicht mehr, nur noch das: „Es war eine sehr lange Reise, bis ich auf einer Bundesstraße nahe Wien abgeladen wurde“. Nächstes Ziel war das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. Zehn Tage später wurde er mit einem Caritas-Transport nach Vorarlberg gebracht, nach Zwischenwasser. In einem Wohnhaus der Lebenshilfe Batschuns fand er Unterkunft. „Das war Anfang März 2007, es war sehr kalt, und es lag viel Schnee“, erinnert er sich. Eineinhalb Jahre wohnte Samvel in Batschuns, war von Anfang an in der Nachbarschaftshilfe tätig, lernte Deutsch im Eiltempo.

Samvel Adamyan beim Training mit Maria, dem jüngsten seiner drei Kinder, die alle Judokas sind. HRJ
Samvel Adamyan beim Training mit Maria, dem jüngsten seiner drei Kinder, die alle Judokas sind. HRJ

2009 zog er nach Bludenz. Der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte“ erlaubte ihm zu arbeiten. Er bekam einen Job in einer Werkzeugbau-Firma. Vier Jahre blieb er. Dann stellte ihn die Caritas als Flüchtlingsbetreuer an. Darüber hinaus hielt er Turnunterricht in Volks- und Mittelschulen, wurde Trainer im Judo Club Montafon und führte Sportprojekte für junge Geflüchtete durch. Für ihn gilt: „Weder Herkunft noch Religion spielen eine Rolle, sondern Menschlichkeit.“ Für sein Engagement erhielt er 2015 und 2017 Integrationspreise. Und längst schätzt man ihn hierzulande als Integrationsexperten.

Der Kampfsport Judo ist für Vater und Tochter zu einem Bestandteil ihres Alltags geworden. HRJ
Der Kampfsport Judo ist für Vater und Tochter zu einem Bestandteil ihres Alltags geworden. HRJ

Ehefrau Arpine, Sohn Vache (24) und Tochter Tatevik (18) durften 2008 nachkommen. Maria (15), die Jüngste, kam in Bludenz zur Welt. Arpine, gelernte Modedesignerin, ist jetzt als Hausmeisterin tätig. Die drei Kinder nehmen an dem Projekt der Landesregierung „Lehrausbildung mit Sport“ teil. Alle drei wählten den Beruf Verwaltungsassistenz. Alle drei sind Judoka und haben bereits nationale und internationale Meisterschaften gewonnen. Vache hat die Lehre schon abgeschlossen und arbeitet nun im Heeressportzentrum Linz an seiner Sportlerkarriere. Die ganze Familie hat mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft.

Menschen in Not helfen

Heimweh plagt Samvel nicht. Er ist sowieso einmal pro Jahr in seinem Herkunftsland, um dort sein Projekt „Hilfe für Armenien“ zu betreuen, das er mit der Kinderhilfsorganisation „Stunde des Herzens“ betreibt. Menschen in Not zu helfen, ist ihm ein Bedürfnis. Vor allem in Armenien: „Denn ich vergesse nie meine Wurzeln.“

Die Adamyans haben zahlreiche nationale und internationale Judo-Meisterschaften gewonnen. HRJ
Die Adamyans haben zahlreiche nationale und internationale Judo-Meisterschaften gewonnen. HRJ