Zwischen Anspruch und Realität: Bilanz zum Kinderbetreuungsgesetz

Politik / HEUTE • 16:00 Uhr
Feldkirch steigert Kinderbetreuungsqualität
Das Gesetz zur Kinderbildung- und Betreuung war ein wichtiger Schritt. Nun gilt es, mit den sich ständig ändernden Gegebenheiten Schritt zu halten. Verena Knöpfle

Das Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz (KBBG) soll mehr Berufstätigkeit ermöglichen. Interessensvertreter fordern nun Nachbesserungen.

Schwarzach Bitte mehr arbeiten! Nur mehr Vollzeitkräfte könnten die Pensionswelle glätten, meinte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). In Vorarlberg arbeitet laut Statistik Austria rund ein Drittel der Beschäftigten in Teilzeit. Bei Müttern mit Kindern unter 15 Jahren sind es rund 80 Prozent, bei Männern nur sieben Prozent. Ein zentraler Hebel: der Ausbau der Kinderbetreuung. Seit Anfang 2023 ist das Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz (KBBG) in Kraft, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern soll. Nun trafen erstmals Vertreter von Land, Gemeinden, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft, Gewerkschaft und der Kinder- und Jugendanwaltschaft zum Dialog zusammen – mit gemischtem Fazit.

Das mit 1. Jänner 2023 in Kraft getretene Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz sieht unter anderem vor, dass die Gemeinde jährlich eine offen formulierte Bedarfserhebung zur Kinderbetreuung und dem aktuell bestehenden Bedarf durchführen muss. Die Kommune muss für jedes Kind von drei bis fünf Jahren eine ganzjährige Betreuung zwischen 7.30 und 17.30 Uhr sicherstellen, eine Schließzeit von vier Wochen ist erlaubt.

„Ein Gesetz ist nur so gut, wie es sich an praktische Gegebenheiten anpasst – und die ändern sich schnell“, sagt Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer. Daher sei ein regelmäßiger Dialog zentral. Aktuelle Zahlen zeigen, dass manche Angebote weniger stark genutzt werden. Zudem prallen unterschiedliche Interessen aufeinander – „und die Hauptpersonen, die Kinder, stehen dabei oft in einem Spannungsfeld zwischen Bildungs- und Betreuungsauftrag“.

Laut Netzer funktioniert die Umsetzung des Gesetzes in der Praxis aus Sicht vieler Familien gut. Positiv sei vor allem der Effekt des Versorgungsauftrags: Bei Kindern unter sechs Jahren gebe es deutlich weniger Fälle ohne Betreuungsplatz. „Die Gemeinden haben stark investiert – das spüren wir“, sagt Netzer. Auch die Rückmeldungen der Eltern seien überwiegend positiv. „Das Personal leistet offenbar so gute Arbeit, dass selbst mögliche Engpässe kaum auffallen.“

Standort sichern

Deutliche Kritik kam von Karlheinz Kopf, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg (WKV), an der geplanten Streichung der Landesförderung der Elternbeiträge für 3-jährige Kinder in betrieblichen Einrichtungen ab dem Betreuungsjahr 2025/26. „Alle Familien – unabhängig von der Trägerschaft – brauchen einen fairen und leistbaren Zugang zu elementarpädagogischer Bildung“, betonte Kopf. Andernfalls drohten Wettbewerbsnachteile für betriebliche und private Träger mit Auswirkungen auf Planungssicherheit und Investitionen in neue Plätze.

Die WKV fordert zudem einen weiteren Ausbau des KBBG: etwa ein verpflichtendes, kostenfreies zweites Kindergartenjahr, flächendeckende Ganztags- und Ferienangebote mit maximal vier Wochen Schließzeit für Sechs- bis 14-Jährige sowie den Ausbau der Betreuung für Ein- bis Zweijährige – analog zu den Drei- bis Fünfjährigen, mit flexibler Stundengestaltung. „Nur mit einem starken und modernen Kinderbildungs- und -betreuungssystem können wir Familien entlasten, Fachkräfte im Land halten und den Wirtschaftsstandort langfristig sichern“, sagt Kopf.

Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist in Vorarlberg am größten. Dabei werden Jahreseinkommen verglichen: Im Land liegt der Gender Pay Gap bei 20 Prozent.

Druck auf Personal steigt

Der Bedarf an Kinderbetreuung ist vorhanden: Bis Herbst 2024 wurden innerhalb eines Jahres 104 neue Gruppen geschaffen. Das Land reagierte mit einer Bildungsoffensive zur Personalsicherung. Linus Riedmann, Bildungsreferent der Arbeiterkammer Vorarlberg, verweist auf steigenden Druck im System. Eine AK-Befragung Ende 2024 zeigte: „Wir haben ein Drittel der Pädagoginnen und Assistenzkräfte erreicht – mehr als jeder und jede Zweite (57 %) gaben an, den Bildungsauftrag nur teilweise erfüllen zu können“, sagt Riedmann.

“Ein nächster Schritt wäre, die im Gesetz festgelegten Grenzwerte zu den Gruppengrößen und dem Personalschlüssel zu senken, um die Qualität zu sichern“, sagt er. Das schließe den weiteren Ausbau nicht aus. „Beides muss gemeinsam gedacht und geplant werden.“ Die AK hofft, dass die vierstündige Gesprächsrunde nur der Auftakt eines echten Dialogs war. Ziel müsse ein gesetzlich verankerter, kostenloser und ganztägiger Rechtsanspruch auf elementare Bildung und Betreuung sein. „In der Schule hinterfragt schließlich auch niemand, dass jedes Kind ein Recht auf einen Platz hat“, sagt Riedmann.