Rossini-Geniestreich

Concerto Stella Matutina begeistert mit “Il Barbiere di Siviglia” in Originalfassung
Götzis Konnte man heuer in Vorarlberg schon zwei exzellente „Cenerentola“-Aufführungen erleben, so hat Concerto Stella Matutina mit seiner „Barbiere“-Produktion nun den Vogel abgeschossen: Auf alten Instrumenten und mit einem exzellenten Ensemble hatte Rossinis Oper am Donnerstag in der Kulturbühne AmBach in Götzis in einer Fassung Premiere, die man so wahrscheinlich seit der Uraufführung 1816 nicht mehr erlebt hat: ohne Striche und in einer Regie, die sich genau an das Libretto und die alten Regieanweisungen hielt. Thomas Platzgummer hat diesmal nicht nur dirigiert, sondern auch das Regiekonzept erarbeitet, das gemeinsam mit dem Ensemble umgesetzt wurde und mit Tempo und einer Fülle witziger Einfälle auftrumpfte. Die einfache Bühne (Raimund Löhr, Valerie Lutz) aus gerippten Holzelementen und das sparsam eingesetzte Licht (Tim Fischbach) genügten voll und ganz, es ist schließlich eine Eigenproduktion. Die Handlung spielt in der Gegenwart, mit eher dezenten Kostümen (Lilli Löbl, Lina Platzgummer), nur Figaro in seiner spanischen Tracht hebt sich davon ab.

Einen großen Anteil am Erfolg hat das exzellente Ensemble aus Sängerinnen und Sängern, die durchwegs auch begnadete Schauspieler sind. Etwas blass bleibt anfangs Jakob Peböck in der Rolle des Dieners Fiorello, doch spätestens mit der fulminanten Auftrittsarie des wendigen Bariton-Buffos Matthias Helm als Figaro beherrscht das komödiantische Element die Bühne. Matteo d’Apolito mit seinem kernigen Bass verleiht dem Dottor Bartolo die Konturen eines launischen Despoten in wechselnden Schlafröcken, Martina Saviano als sein rebellisches Mündel Rosina legt mit ihrem schönen, schlanken Mezzo eine fabelhafte Kavatine hin und macht im Seidenpyjama ebenso gute Figur wie im Minirock. Der Bass Markus Volpert als Basilio mit langen Schlurfhaaren ist ein schmieriger Intrigant, die Sopranistin Anna Gitschthaler als Dienerin Berta fällt nicht nur durch ihren Schnupftabakkonsum auf, sondern auch durch ihre temperamentvolle Arie über den Wahnsinn der Liebe, die sie im Zuschauerraum zum Besten gibt. Alle überstrahlt aber der wunderschöne, ebenso koloraturenversierte wie kraftvolle Tenor des Grafen Almaviva Paolo Nevi. Wie er noch kurz vor Schluss seine Rouladen quasi aus der Hüfte locker hervorschießt wie ein Westernheld, das macht ihm keiner so schnell nach. Sängerisch und darstellerisch überzeugen konnte auch der von Peböck einstudierte Männerchor. Das Ensemble bestach nicht nur in den Einzelarien und den von Johannes Hämmerle fantasievoll am Cembalo begleiteten Rezitativen, die nie fad waren, auch die musikalisch höchst vertrackten und oft rasanten Ensembles gelangen wunderbar.

Und nun zum Orchester, das in der Originalbesetzung der Premiere spielte. Am hörbarsten ist der Unterschied bei den Streichern, die mit nur vier ersten und drei zweiten Geigen ungewöhnlich karg besetzt waren. Klang die Ouvertüre noch etwas verhalten, so entfaltete sich bald ein sehr reizvolles Klangbild: präzis, kammermusikalisch durchsichtig, mit gestochen scharfen Details, federnden Rhythmen, expressiven Passagen der Soloinstrumente und einem insgesamt sehr farbigen, irisierenden Gesamtklang, der die Sänger nie überdeckte. Dass das so fantastisch gelungen ist, obwohl Platzgummer auch für die Regie zuständig war, liegt am hohen persönlichen Engagement jedes einzelnen Mitglieds. Am Schluss kochte der Saal und spendete Standing Ovations. Die weiteren Aufführungen in Weingarten, Schaffhausen und Aschaffenburg lohnen eine Reise.
Ulrike Längle