VN-Serie zum Advent (II): Ein Stern über dem Umweg

VN / HEUTE • 12:12 Uhr
Daniela Egger: „Auf meinen Umwegen habe ich viel gelernt.“
Daniela Egger: „Auf meinen Umwegen habe ich viel gelernt.“Thomas Matt

Daniela Egger: Warum Orientierungslosigkeit manchmal der Beginn von Klarheit ist

Bregenz Selbst Reisende durch den Advent können sich verirren. Sie brauchen Orientierung. Die Schriftstellerin Daniela Egger entdeckt darin ein Sinnbild der Gesellschaft. Für eine glückliche Ankunft (lateinisch „adventus“) bräuchten wir eine Standortbestimmung.

Hat sie selbst schon einmal die Orientierung verloren? „Ja sicher“, sagt Daniela Egger. Ihr ganzes Leben ist im Zickzack verlaufen. Das war aber kein Nachteil. „Auf meinen Umwegen habe ich viel gelernt.“ Lehrreich war auch das halbe Jahr auf der griechischen Insel Paros. „Das war eine Umbruchszeit und ich wusste damals nicht so genau, wie es weitergehen soll.“ Da kam das Angebot, ein abgelegenes Haus auf der Insel zu hüten, gerade recht. Sie tat, was Menschen immer tun sollten, wenn die Orientierung fehlt. Sie hielt inne. Inventur war angesagt. Leicht fiel ihr das nicht. „Doch es wurde die wunderbarste Zeit meines Lebens“. In der Ägäis lernte Egger das Alleinsein lieben. Sie erkannte, „dass das Schreiben mir wichtig ist“. Was half ihr dabei? „Die Natur“, sagt Egger. „Ich bin viel gelaufen. Diese Zeit hat mich so geerdet, dass ich das nie mehr verlieren werde. “

Wenn kein Kompass mehr hilft 

Immer mehr Menschen verlieren schleichend die Orientierung. Das begründet Daniela Eggers zweite Berufung neben dem Schreiben. 2012 übernahm sie das Projektmanagement der Aktion Demenz. Diese Initiative sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Erkrankung. Denn Demenz breitet sich aus. Egger hält die Zahl von derzeit rund 6000 Patienten in Vorarlberg für niedrig geschätzt, denn nicht alle haben eine Diagnose.

Was also, wenn die Orientierung schwindet? Daniela Egger berichtet von der schwierigen ersten Zeit, wenn Betroffene erkennen, dass sie selbstverständliche Fähigkeiten verlieren. Je nach Charakter und Art der Demenz reagieren manche aggressiv, andere verhalten. Man muss es sich nur vorstellen: Du möchtest etwas sagen, aber kannst es plötzlich nicht mehr ausdrücken. 

Grenzgänge

Menschen mit einer demenziellen Entwicklung gleiten in ihre eigene Welt, aus der es kein Entrinnen gibt, aber wir können uns auf ihre Welt einlassen. Wenn Advent und Abenteuer dieselbe lateinische Wortwurzel teilen, dann ist der Eintritt in das Universum von Menschen mit Demenz die abenteuerlichste Reise ins Unverfügbare, die sich denken lässt. Daniela Egger fällt es leicht, von hier aus die Brücke in unsere Gesellschaft zu schlagen. 

Im Grunde genommen ist jeder Mensch ein neu zu entdeckendes Universum, und wie selten lassen wir uns darauf ein? Wir vertrauen der Künstlichen Intelligenz, die längst zu lügen begonnen hat. Unsere Fortschrittsgläubigkeit spielt Wissenschaftlern in die Hände, die ihre Großmutter für einen Durchbruch opfern würden. Spätestens seit der Pandemie und angesichts aktueller Kriege wissen wir um die Unverfügbarkeit der Zukunft, tun aber so, als gäbe es für jedes Problem eine Lösung. 

Wertvolle Momente

Die Fähigkeit, sich die eigene Ratlosigkeit einzugestehen, schenkt wertvolle Momente. Der unverstellte Blick ist unendlich kostbar. Man stelle sich einen stillen Ort vor, der nicht beschallt wird, und den Blick auf einen ungetrübten Sternenhimmel freigibt. Sich so in Relation zum Universum zu setzen, ist heilsam. Das lehrt uns der Advent 2025 in Augenblicken der Orientierungslosigkeit: Innehalten und sich umsehen. Denn das kopflose Voranstürmen führt in die Irre. 

Zur Person

Daniela Egger schreibt Theaterstücke und Erzählungen, seit 2012 bringt sie die Ziele der Aktion Demenz in die Öffentlichkeit.