Was, wenn Ayse und Ibrahim zu Pflegefällen werden?

Vorarlberg / 13.12.2012 • 20:45 Uhr
Die muslimischen Besucherinnen und die Bewohner verstanden einander auch ohne Worte. Foto: Pfitscher
Die muslimischen Besucherinnen und die Bewohner verstanden einander auch ohne Worte. Foto: Pfitscher

Altern in der neuen Heimat. Projekt des Bildungshauses Batschuns zeigt Wege auf.

Batschuns. Sie kamen aus dem Osten Anatoliens, um für ein paar Jahre in Vorarlberg Geld zu verdienen. Heute sind die Zuwanderer der ersten Generation in Pension. Immer mehr werden pflegebedürftig. Das wirft eine Menge Fragen auf. Antworten gibt das Projekt „Elele yaŞlanmak – Hand in Hand altern“. Angelika Pfitscher (54) und Aysel Demir (34) haben sich das ausgedacht. Sehr viele berührende Momente tragen sie als Belohnung mit nach Hause.

Beide Frauen verbindet ihr Beruf. Die diplomierte Krankenschwester Angelika Pfitscher leitet im Bildungshaus Batschuns das Projekt „Pflege daheim“. Aysel Demir, die ihr Diplom 1999 erwarb, hat u. a. acht Jahre lang im Pflegeheim Lochau Betagte betreut. Heute arbeitet sie zur Hälfte im Christlich-muslimischen Forum. Der Gedanke an die Pflege von Migranten der ersten Generation drängte sich den beiden Frauen allein aufgrund weniger Zahlen auf: In Vorarlberg leben rund 370.000 Menschen. Jeder fünfte Vorarlberger ist ausländischer Herkunft, jeder zehnte Moslem. Die Notwendigkeit kultursensibler Pflege liegt auf der Hand.

„Ich weiß, dass diese Aufgabe eines Tages auch auf mich zukommt“, sagt Aysel. Sie ist von Berufs wegen doppelt gefragt: Als Fachkraft und Tochter. Aber die Töchter und Schwiegertöchter der zweiten Generation sehen es nicht mehr als Selbstverständlichkeit an, sich in der Pflege Angehöriger ganz aufzuopfern. „Die Frauen arbeiten heute“, fasst Aysel den gesellschaftlichen Wandel knapp in Worte.

Aysel und Angelika fanden zahlreiche Überforderungen vor, als sie sich vor einem Jahr erstmals unter Zuwanderern umhörten. Ende 2011 luden sie acht Migrantinnen ein, die alle beruflich in der Pflege aktiv sind. In elf Denkrunden haben sie gemeinsam die drängendsten Bedürfnisse erörtert und Lösungswege gesucht. Seit September 2012 haben sich nun schon 144 Frauen und 47 Männer jeden Alters über die Batschunser Initiative in insgesamt 16 Veranstaltungen mit dem Thema Alter auseinandergesetzt.

Informationen fehlen

Angelika Pfitscher und Aysel Demir stießen auf Wissenslücken und Ängste. „Den Frauen und Männern fehlen die Altersbilder.“ Sie haben ihre eigenen Eltern in den 1950er- und 60er-Jahren nicht älter werden sehen. Im Gegenteil: Ihre Migration gab ihnen das Gefühl mit auf den Weg, ihre Alten im Stich gelassen zu haben. Solche Eindrücke kochen heute wieder hoch.

Die pflegenden Angehörigen unter den Migranten der zweiten Generation wissen nichts über vorhandene Entlastungsmöglichkeiten, finanzielle Unterstützung oder die örtlichen Betreuungsangebote. Aysel Demir und Angelika Pfitscher führen die Interessierten in das System der Hilfsangebote ein. Weil die Sprachbarrieren noch immer hoch sind, geschieht das in der Muttersprache der Migranten.

Sie beantworten ihre zentralen Fragen: Erhält man im Pflegeheim muslimisches Essen? Weiß das Personal um die Bedeutung des Fastenmonats Ramadan? Gibt es einen Ort, an dem die Muslime beten können?

Schließlich gehen Aysel und Angelika mit den Gruppen vor Ort: Die Bewohner des Sozialzentrums Mariahilf etwa staunten nicht schlecht, als sie diese Woche türkische Frauen besuchten. Sie brachten den Senioren Rosen mit, und Aysel Demir hörte vergnügt den Kommentaren zu: „Stell dir vor, bei dem Schnee sind die so früh zu uns aufgebrochen“, tönte es da und „Schau mal, wie großzügig sie sind, wie viele Blumen sie gebracht haben.“ Besucher und Bewohner haben „nonverbal mit Händehalten auf Herzens­ebene kommuniziert“.

Inzwischen haben auch 47 muslimische Männer den Batschunser Kurs besucht, darunter Yussuf, ein Türke, der in Rankweil beim Mobilen Hilfsdienst mitarbeitet. „Viele wollen sich ehrenamtlich engagieren“, haben Asyel und Angelika erfahren. ##Thomas Matt##

Die jungen Frauen arbeiten heute, das hat sich eben verändert.

Aysel Demir

Projekt „Hand in Hand altern – Elele yaŞlanmak“, Angelika Pfitscher, E-Mail angelika.pfitscher@bhba.at, Tel. 05522/ 44290 DW 23