Wer ist der Souverän?
Ein wesentliches Anliegen der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer war die Stärkung des Parlaments. Ihre voraussichtliche Nachfolgerin, Infrastrukturministerin Doris Bures, wechselt nun an die Spitze des Nationalrats, was einige Diskussionen ausgelöst hat. Bemerkenswerterweise blieb aber der Aspekt so gut wie unerwähnt, dass mit Frau Bures ein bisheriges Regierungsmitglied das zweithöchste Amt im Staat ausüben soll. Ist es eine Stärkung des Parlaments, wenn jemand praktisch über Nacht von der Regierung an die Spitze des Nationalrats wechseln kann, der eigentlich die Bundesregierung kontrollieren sollte? Die Parlamentsmehrheit wird diesen Wechsel dennoch absegnen.
Die Parteidisziplin ist nicht zuletzt deshalb ungebrochen, weil das herrschende Wahlrecht ermöglicht, dass die Parteien und nicht die Wähler bestimmen, wer im Parlament sitzt. Dies hat sich auch an der Nachfolgediskussion gezeigt, wer das nun freigewordene Mandat der Oberösterreicherin Barbara Prammer erhält. Statt einfach dem Gesetz zu entsprechen, wonach der auf der Liste nächstgereihte Wahlwerber das freiwerdende Mandat erhält, folgte eine öde Quotendiskussion. Schließlich beschlossen die oberösterreichischen Sozialdemokraten mehrheitlich, dass tatsächlich der nächstgereihte Gewerkschafter Schopf und nicht eine Frau das Mandat erhalten soll. Dass Parteigremien entscheiden, ob jemand, der berechtigt ist, in den Nationalrat einzuziehen, genötigt werden soll, sein Mandat nicht anzunehmen, ist einer Demokratie unwürdig. Wer ist denn der Souverän: die Wähler oder das Parteisekretariat? Die Parteien können ja selbst dafür sorgen, dass auf den Listen genügend Frauen an wählbarer Stelle zu finden sind!
Die einzige Abhilfe gegen den bestehenden Zustand wäre eine Personalisierung des Wahlrechts. Vorarlberg hat einen großen Schritt in diese Richtung gewagt und auch gezeigt, wie wichtig föderalistische Vorstöße sind: Bei der kommenden Landtagswahl können die Wähler mit ihren Vorzugsstimmen weitaus leichter eine Änderung bewirken als bisher. Es wäre für die Demokratie wichtig, wenn es auf diese Weise einige Überraschungen geben würde.
peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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