„In Gemeinden braucht es gar keine Parteien“

Vorarlberg / 13.03.2015 • 20:51 Uhr
Wolfgang Weber stammt aus Dornbirn, lehrt in Innsbruck und wohnt in Hohenems. Er untersuchte die Gemeindewahlen in Vorarlberg. Stiplovsek
Wolfgang Weber stammt aus Dornbirn, lehrt in Innsbruck und wohnt in Hohenems. Er untersuchte die Gemeindewahlen in Vorarlberg. Stiplovsek

Zeithistoriker Weber spricht im Interview über Parteien, Größen und Bürgermeisterlohn.

SCHWARZACH. Parteien dominieren den Wahlkampf, auch auf Gemeindeebene. Für den Zeithistoriker und Gemeindewahl-Experten Wolfgang Weber sollte dies allerdings nicht so sein. Er plädiert für eine Gemeindepolitik abseits der Parteiinteressen.

Parteipolitik muss oft als Schimpfwort herhalten. Zu Recht?

WEBER: Auf Gemeinde-Ebene ist jedenfalls ein Trend zu erkennen, dass die klassische Viererallianz der etablierten Parteien – also SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne – an Einfluss verliert. Dafür werden parteifreie Listen immer stärker.

Braucht es in der Gemeinde gar keine Partei?

WEBER: Die Notwendigkeit, gemeinschaftliche Interessen in Form einer Partei zu organisieren, ist auf kommunaler Ebene geringer. Weil dort Sachpolitik notwendiger ist und weil die Kommunikation direkter ist. Wenn eine Entlastungsstraße nicht gebaut wird, spüren es die Bürger und stehen sofort beim Bürgermeister. Insofern: Ja, es braucht keine Parteien.

In Eichenberg kandidiert ein Bürgermeister nicht mehr, weil er sich für Windkraft eingesetzt hat und dafür wenig Zustimmung erntete. Mit einer Partei hätte er eine Interessensvertretung im Rücken gehabt und wahlkämpfen können. Ihm hätte eine Partei also geholfen?

WEBER: Wären Parteilisten beteiligt gewesen, wäre es zu einer Gesinnungsabstimmung geworden. Jetzt haben die Eichenberger abseits des Parteihandelns über Personen abgestimmt. So gesehen ist Eichenberg ein klassisches Beispiel, wie direkte Demokratie funktioniert.

Warum gibt es überhaupt Parteien in den Kommunen?

WEBER: Das war eine Grundsatzentscheidung, die nach dem Krieg getroffen wurde. Wir haben auf Bundes- und Landesebene die Parteiendemokratie, also führen wir sie auch auf Gemeindeebene ein. Die Gesellschaft müsste sich nun die Frage stellen: Welche Form von Demokratie brauchen wir auf Gemeindeebene?

Wie lautet die Antwort?

WEBER: Es gibt keine absolute Antwort. Aber ohne Parteibünde könnten Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Nicht nach Parteiinteressen. Was natürlich nicht ausschließt, dass nicht Christlich-Soziale und Sozialdemokraten mitstimmen. Die nehmen ihre Welt weiter aus ihrer Brille wahr. Es wird immer eine Mehrheitsentscheidung geben.

In Eichenberg haben die ersten vier Personen abgelehnt, nun wird der Fünftplatzierte der Vorwahl Bürgermeister. Die ersten fünf haben sich den neuen Ortschef quasi untereinander ausgemacht.

WEBER: Das ist in diesem System so vorgesehen. In der Vorwahl hatte jeder das Recht, jemanden nach vorne zu wählen. Das ist ein klassischer demokratischer Wettstreit, bei dem jeder das Recht hat, zu mobilisieren.

Die Vorwahl ist nichts anderes als eine vorgezogene Mehrheitswahl, oder?

WEBER: Ich würde sowieso eine Mehrheitswahl empfehlen, jedenfalls in Kleingemeinden. Einheitslisten ohne Vorwahl sind nicht zielführend, da kann ich als Wähler nur mehr innerhalb der Liste wählen. Durch das Vorarlberger Spezifikum des Freien Wahlwerbers kann aber auch auf eine Einheitsliste jeder drauf.

Ohne Klubzwang gäbe es das freie Spiel der Kräfte. Warum ist das mittlerweile so beliebt?

WEBER: Weil Sachpolitik im Vordergrund steht. Gemeinden sind in der Entscheidungsfindung relativ beschränkt, darum ist der mögliche Einfluss von Parteien, Kirche, Selbstvertretergruppen nicht so groß.

Beschränkt und Sachpolitik? Das klingt langweilig. Sind deshalb wenig junge Menschen in den Gemeinden aktiv?

WEBER: Nein. Veranstaltungen wie die VN-Jugend-Diskussion oder der OJA beweisen das Interesse. Es ist eine Frage der gemeinsamen Sprache. Auch in die andere Richtung, alte Menschen werden gerne vergessen.

Liegt es vielleicht auch am Personal?

WEBER: Das ist nicht nur in Gemeinden ein Problem. Die Auswahl ist nicht immer die beste, was ich persönlich nicht verstehe. Zumindest Bürgermeisterposten sind hervorragend dotiert. Wenn die Zahlen aus den VN-Bürgermeisterinterviews stimmen, gibt es kaum eine Gemeinde, in der ich nicht Bürgermeister sein will. Die verdienen deutlich über Durchschnitt, da hilft auch diese nette Stundenlohn-Umrechnung nichts.

Lassen sich weitere Trends voraussagen?

Weber: Die Person des Bürgermeisters wird weiter gestärkt, das begann mit der Einführung der Bürgermeister-Direktwahl. Ein allgemeiner Trend der Gemeinden zeigt zudem, dass Kleinstgemeinden auf Dauer nicht überleben können.

Das wird aber kein Bürgermeister laut aussprechen.

WEBER: Nicht sofort, aber es wird bald passieren müssen. Es ist weder ökonomisch, noch politisch, noch partizipativ vernünftig, so kleine Einheiten zu haben.

Welche Größe wäre ideal?

WEBER: Die europäische Verwaltungswissenschaft empfiehlt eine Größe von 4000 bis 6000 Einwohnern.

Warum ist die Wahlbeteiligung in den Kleingemeinden höher?

WEBER: Die Bindung der Bürger an politische Mandatare ist höher. Je kleiner die Gemeinde, desto eher glauben die Menschen, gehört zu werden. Es gibt aber auch die Theorie, dass die soziale Kontrolle größer ist. Nichtwähler werden entlarvt. Aber an die glaube ich nicht.

Tschagguns hatte 2010 die niedrigste Beteiligung im Land.

WEBER: Da müsste man vor Ort recherchieren, was vorgefallen ist. Es reichen oft Kleinigkeiten in einem Familienverband. Oder Sprüche eines Pfarrers.

Eines Pfarrers?

WEBER: In Gramais in Tirol hatte die KPÖ plötzlich zwei Stimmen, obwohl es dort keine Ortsgruppe gab. Die Recherche der Landespartei ergab, dass der Pfarrer, der gerade im Clinch mit dem Bürgermeister steckte, in der Sonntagspredigt sagte: „Da kann man ja gleich die KPÖ wählen.“

Wolfgang Weber stammt aus Dornbirn, lehrt in Innsbruck und wohnt in Hohenems. Er untersuchte die Gemeindewahlen in Vorarlberg. Stiplovsek
Wolfgang Weber stammt aus Dornbirn, lehrt in Innsbruck und wohnt in Hohenems. Er untersuchte die Gemeindewahlen in Vorarlberg. Stiplovsek

Zur Person

Dr. Wolfgang Weber

Professor für Zeitgeschichte in Innsbruck, Akademischer politischer Bildner. Seit 2014 Forscher am Department für Sozial- und Organisationswissenschaften der FH Vorarlberg.

Geboren: 1964 in Dornbirn, wohnt in Hohenems