Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Stunde null

Vorarlberg / 02.04.2015 • 20:16 Uhr

In wenigen Wochen, am 27. April 2015, wird die Republik ihr Wiedererstehen aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs feiern. An diesem Tag wurde von Staatskanzler Karl Renner in Wien die Republik Österreich ausgerufen, während andere Gebiete Österreichs, vor allem der Westen, noch nicht einmal befreit waren.

Der 27. April 1945 war die Stunde null, war es aber auch die Geburtsstunde der Zweiten Republik? Nein. Die Regierung Renner war nur von der sowjetischen Besatzungsmacht, die das Burgenland, Wien, Niederösterreich und Teile Oberösterreichs unter Kontrolle hatte, anerkannt. Die westlichen Besatzungsmächte, also Amerikaner, Engländer und Franzosen, misstrauten Renner, den sie für eine Marionette des mittlerweile verhassten kommunistischen Bündnispartners hielten. Eine gewisse Rolle spielte auch, dass ausgerechnet Renner im März 1938 den Anschluss Österreichs an Deutschland befürwortet hatte.

Am 1. Mai 1945 setzte die Renner-Regierung die Bundesverfassung von 1920 wieder in Kraft, jedoch mit einer wesentlichen Änderung: Die 1938 von den Nationalsozialisten ausgelöschten Länder sollten zwar wieder aufleben, aber keinerlei wesentlichen Kompetenzen mehr aufweisen. Österreich war wieder existent, aber als zentralistischer Einheitsstaat.

Allerdings war dies außerhalb der sowjetischen Besatzungszone belanglos: Die Gesetzblätter, die die Renner-Regierung verabschiedete, wurden in den dortigen Bundesländern nicht einmal gelesen, geschweige denn befolgt. Auch wenn die maßgeblichen politischen Kräfte in den Ländern eine Wiedervereinigung aller Teile Österreichs anstrebten, blieb das Schicksal des Gesamtstaates lange unklar, weil der Westen besorgt war, unter kommunistische Herrschaft zu geraten.

Die wahre Geburtsstunde Österreichs schlug erst Ende September 1945, als sich in der sogenannten Länderkonferenz in Wien Vertreter aller Länder mit Karl Renner trafen. Gegen das Versprechen, den Bundesstaat wiederherzustellen, Vertreter aus ganz Österreich in die Regierung aufzunehmen und freie Wahlen abzuhalten, erkannten die nicht von den Sowjets besetzten Länder die Renner-Regierung an. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch der Vorarlberger Landeshauptmann Ulrich Ilg. Das Schicksal der Teilung, das Deutschland über Jahrzehnte erdulden musste, blieb Österreich durch das Gelingen der Länderkonferenz erspart. Die wahre Geburtsstunde Österreichs ist daher der 26. September 1945.

Die wahre Geburtsstunde Österreichs schlug erst Ende September 1945.

peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.