Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Neutralität

Vorarlberg / 10.09.2015 • 20:35 Uhr

Zur Lösung der Flüchtlingskrise fordern auch in Österreich manche eine bewaffnete Intervention des Westens in Syrien, um den dortigen Bürgerkrieg zu beenden. Diese Idee führt in die Sackgasse. Erstens ist auch ein von humanitären Interessen geleiteter Eingriff völkerrechtlich nicht so einfach durchzuführen, weil er einen einstimmigen Beschluss des Sicherheitsrates, also einschließlich Russlands und Chinas, benötigt. Zweitens sind die Beispiele Irak und Afghanistan keineswegs ermutigend: Dort, wo der Westen bisher interveniert hat, ist das Resultat heute nicht weniger schlimm als die Situation, die zuvor geherrscht hat. Außerdem: Gegen wen soll in Syrien gekämpft werden? Nur gegen den Islamischen Staat oder auch gegen die Regierung von Präsident Assad? Und was wäre das Resultat?

Man kann sich auch fragen, wie die Europäer reagieren würden, wenn die ersten ihrer Söhne und wohl auch Töchter in Särgen aus dem Kriegsgebiet zurückgebracht würden. In Ruanda ging seinerzeit das eiskalte Kalkül der Hutu-Rebellen, die zehn belgische UNO-Soldaten massakrierten, voll auf: Nicht nur die Belgier, sondern der gesamte Westen hielt sich aus dem Bürgerkrieg heraus, mit der Konsequenz eines Völkermordes, der etwa eine halbe Million Menschen das Leben kostete und dessen Folgen noch heute ganze Staaten in Afrika destabilisieren. Ich behaupte, dass es sich derzeit keine Regierung Europas leisten könnte, das Leben ihrer Soldaten in Syrien in Bodenkämpfen aufs Spiel zu setzen.

Besonders irritierend ist es, wenn Forderungen nach einem Militäreinsatz gegen Syrien aus Österreich kommen. Ausgerechnet aus einem Land, das unter Berufung auf seine Neutralität jahrzehntelang als Trittbrettfahrer der NATO überlebt hat und in Syrien bestenfalls irgendwelche Schutzzonen beaufsichtigen, aber sicherlich nicht in Kämpfe eingreifen würde. Denn eine ernsthafte Diskussion über die Neutralität hat in Österreich niemals stattgefunden.

Bevor lautstark nach einem militärischen Einsatz anderer Europäer in Kriegsgebieten gerufen wird, sollten wir in Österreich einmal ernsthaft darüber diskutieren, wie wir uns an einer allfälligen europäischen Armee beteiligen würden, anstatt uns weiterhin ängstlich hinter der Neutralität zu verstecken und dabei zu hoffen, dass es andere für uns richten.

Eine ernsthafte Diskussion über die Neutralität hat in Österreich niemals stattgefunden.

peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.