Das Spiel mit der Wortwahl

Vorarlberg / 08.12.2015 • 18:42 Uhr
Das Spiel mit der Wortwahl

Politikberater Hofer über die Macht der Worte und wie damit Richtung gemacht wird.

Schwarzach. Sind wir mit einem Flüchtlingstsunami konfrontiert oder mit einem Flüchtingszuzug? Betteln Roma-Familien oder Clans? Und überhaupt: Darf man Asylwerber sagen? Thomas Hofer ist Experte für politische Kommunikation, Geschäftsführer einer entsprechenden Firma und unterrichtet an der Fachhochschule in Wien. Er erklärt, wie sich die Sprache radikalisiert hat, wie Politiker mit Worten Stimmung erzeugen und welche Rolle Medien dabei spielen.

Hat sich die Sprache in der Politik im vergangenen Jahr gewandelt?

Hofer: Ja, absolut. Das hat schon im Frühjahr begonnen, als die sogenannte Flüchtlingswelle noch nicht auf dem Höhepunkt war. Damals kam zum Beispiel der Terminus Zeltstädte auf, obwohl die Zelte nur für wenige Hundert Menschen gedacht waren. Da hat die Politik eine durchaus dramatische Lage noch einmal zugespitzt. Flüchtlingswelle ist übrigens auch so ein Wort.

Werden Begriffe verwendet, die vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wären?

Hofer: Ja, das ist aber auch den Entwicklungen geschuldet, den Anschlägen in Paris zum Beispiel. Die haben zu einer Radikalisierung der politischen Wortwahl beigetragen. Hätten wir im Dezember 2014 über einen Ausnahmezustand diskutiert, hätte jeder gewiehert und gesagt: Das ist doch lächerlich. Es wäre Aufgabe der Politik, mäßigend zu wirken und sich genau zu überlegen, welche Worte man verwendet.

Die Wortwahl „Zeltstadt“ fiel mit einem Wahlkampf zusammen. Hat das den Parteien geholfen?

Hofer: Die Bundesregierung hätte damals wissen müssen, wem der Begriff hilft, nämlich ganz klar und eindeutig der Freiheitlichen Partei. Das war alles andere als geschickt.

Verwenden Politiker Worte, um die öffentliche Meinung in eine gewisse Richtung zu steuern?

Hofer: Absolut. Natürlich redet ein Herr Strache von einem Flüchtlingstsunami oder einer Völkerwanderung, um die Situation dramatischer und verhängnisvoller erscheinen zu lassen. Aus dem anderen politischen Eck ist eine gewisse Beschwichtigungsrhetorik zu hören. Derzeit sollte man aufpassen, weil es zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt. Aber die Wortwahl ist nicht nur in Ausnahmesituationen wichtig.

Wann war das noch zu beobachten?

Hofer: Zum Beispiel in der Bildungspolitik. Ministerin Schmid sprach von der neuen Mittelschule, als Synonym für die Gesamtschule. Sie ließ zuvor Umfragen machen. Die haben ergeben, dass der Begriff Gesamtschule in der Bevölkerung eher negativ behaftet ist. Oder das Wort Gerechtigkeit: Die politischen Akteure versuchen, den Begriff für sich zu pachten. Genauso das Wort Steuerlast, was ÖVP-Speak oder Neos-Speak ist. Das impliziert, Steuern wären eine Last. Andere sprechen bei der Steuerfrage vom Gemeinwohl. Grundsätzlich versuchen politische Akteure, einem Thema ihren Stempel aufzudrücken.

In Vorarlberg wird aktuell die Frage der Bettler heiß diskutiert. Politiker sprechen von Clans, wenn sie über Familien reden. Ist das auch so ein Fall?

Hofer: Ja, sicher. Es schwingt mit, Bettelei sei organisiert. Außerdem wird nicht der Einzelne gesehen, der vielleicht arm ist. Zudem klingt es nach einer mafiösen Struktur. Das wird ganz bewusst verwendet und ist ein schönes Beispiel, wie mit Worten Richtung gemacht werden kann.

Gibt es überhaupt objektive Worte?

Hofer: Das ist schwer. Es wird diskutiert, welche Worte man verwenden darf. Das fängt schon damit an, ob man überhaupt „Flüchtling“ sagen darf. Weil Worte, die mit „ing“ enden, oft etwas abschätzig gemeint sind. Oder das Wort Asylwerber. Manche sagen, das ist falsch, ein Mensch werbe nicht um Asyl, sondern habe das Recht darauf. Da wird es aber schon sehr speziell, das ist für die breite Mitte der Bevölkerung nicht nachvollziehbar.

Manche Worte sind aber eindeutig.

Hofer: Klar, zum Beispiel das Wort „Neger“. Es ist fast allen klar, dass man diesen Begriff in der Öffentlichkeit nicht mehr verwendet.

Gehen wir der Politik manchmal auf den Leim?

Hofer: Es ist schon so, dass manches im ersten Moment nicht auffällt. Da sind auch Sie als Journalist in der Pflicht, Worte immer wieder zu hinterfragen.

Welche Rolle spielen die Medien?

Hofer: Auf Neudeutsch würde ich sagen, die des „Watch-Dogs“. Die Medien müssen darauf achten, dass keine Unzulässigkeiten passieren. Es ist die ureigenste Aufgabe der Medien, etwas abzubilden und zu hinterfragen.

Also auch zu werten?

Hofer: Mittlerweile sehen wir häufig einen sogenannten Zitatejournalismus, in Boulevardmedien eher als in Qualitätsmedien, aber auch dort. A sagt, B sagt, C sagt, und fertig. Da wird nichts bewertet. Das halte ich für eine bedenkliche Entwicklung. Als Journalist darf man nach eingehender Recherche, nachdem man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, auch bewerten. Man darf sagen: A irrt, weil. Oder B hat recht, weil. Das trauen sich Medien nicht mehr so zu.

Sie haben zu Beginn gesagt, es sei zu einer Radikalisierung der Worte gekommen. Kommt es wieder zu einem Abrüsten?

Hofer: Es gibt Zyklen, und momentan herrscht eine Art Ausnahmesituation. Es kommt darauf an, ob Politiker die scharfen Worte als Erfolgsmodell begreifen. Je besser die Umfragen, desto gefährlicher. Jörg Haider hat das für sich entdeckt und immer wieder verwendet. Das ist übrigens nicht nur in Österreich so. Auch Horst Seehofer oder Herr Trump in den USA machen das (Anm.: Donald Trump will für die Republikaner bei den US-Präsidentschaftswahlen antreten, Horst Seehofer ist bayrischer Ministerpräsident).

Ist jedes Wort der Politiker genau gewählt?

Hofer: Worte verbreiten sich in Zeiten sozialer Netzwerke rasant. Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das.“ Jetzt wird ihr unterstellt, deshalb sei die Situation so, wie sie jetzt ist. Politiker wissen oft nicht, was ihre Worte bewirken. Da mache ich mir keine Illusionen, ich würde die Damen und Herren in der Politik, inklusive Angela Merkel, nicht als allzu mächtig sehen. Ganz im Gegenteil. Das ist auch für Politiker eine riesige Herausforderung, mit der sie erst umgehen lernen müssen.

Natürlich spricht Herr Strache von einem Flüchtlingstsunami.

Thomas Hofer

Zur Person

Thomas Hofer

Politikberater, Kommunikationswissenschaftler

Laufbahn: Fünf Jahre Innenpolitik­redakteur beim Profil, Politikberater, Vorstandsmitglied der European Association of Political Consultants (EAPC), Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin, seit 2008 Geschäftsführer H&P Public Affairs, Lehrt im Studiengang Journalismus & Medienmanagement in Wien.