Zunehmen soll nur der Geist

Fastenbeginn mit den Mönchen der Mehrerau. Eine Gemeinschaft begibt sich auf ihren Weg.
Bregenz. Es ist noch dunkel draußen, um sechs Uhr in der Früh. In der Klosterkirche Mehrerau bleibt das spärliche Licht auf die Stuhlreihen im vorderen Bereich des Gotteshauses beschränkt, zur Beleuchtung der großen Bücher, aus denen die 13 Mönche und der junge Kandidat die Texte für ihre ehrfürchtig gesungenen Psalmen beziehen. Vigil und Laudes nennt sich das andächtige Zeremoniell, bei dem die Brüder weiße Gewänder mit Kapuzen, genannt Kukullen, tragen.
Asche aufs Haupt
Frater Josua (37), der mit seinem bürgerlichen Namen Michael heißt, hat uns zum Fastenbeginn ins Kloster eingeladen. Um 4.30 Uhr ist er aufgestanden. Das tut er auch ohne Fastenzeit jeden Tag. „Kommt mit“, führt uns Josua nach Ende des frühmorgendlichen Rituals aus dem kalten Kirchenraum in die geheizte Kapelle. Vorbei an der prächtigen Sakristei, wo sich die Mönche für die nun anstehende Aschermittwochsmesse entsprechend umadjustieren.
Abt Anselm höchstpersönlich wird die Messe zelebrieren – aus gegebenem hochfeierlichem Anlass. „Staub warst du, und zu Staub wirst du wieder werden“, spricht der Abt unter anderem jene Worte, welche zum Inbegriff der Beschreibung für die Endlichkeit des Menschen geworden sind. Er streut Asche auf das Haupt seiner Mitbrüder und einer Handvoll von Messbesuchern. Kantor Frater Amadeus bleibt es vorbehalten, die gesungenen Gebete anzustimmen. Abt Anselm überreicht jedem seiner Mitbrüder ein extra für ihn bestimmtes Buch zur Fastenzeit. In die „Passion nach Johannes“ des Jesuiten Ignace Dela Potterie wird sich Pater Josua vertiefen.
Verzicht auf Süßes
Es folgt das Frühstück im Refektorium. Müsli, Brot, Marmelade, Käse, Wasser, Kaffee stehen für die Mönche bereit. Schweigsam wird die Mahlzeit eingenommen. Frater Josua führt uns anschließend durchs Kloster. Im ersten Stock haben die Brüder ihre Zimmer. Wir steigen drei Stockwerke hoch, betreten den erst unlängst ausgebauten Dachraum der Bibliothek, wo auch die Novizen unterrichtet werden. Eine wertvolle Uhrensammlung befindet sich gleich beim Eingang. Üppige Bücherregale säumen den Weg zum großen Tisch beim prächtigen Rundfenster.
Josua erzählt über sich und das Fasten. „Für mich ist die Fastenzeit eine Neuausrichtung, eine Art innere Umkehr. Heraus aus der Alltagsroutine, eine vertiefende Auseinandersetzung mit meiner Berufung.“ Er wird wie seine Mitbrüder vier Tage in der Woche kein Fleisch essen. „Mein zusätzlicher Fastenbeitrag wird der Verzicht auf Süßes sein“, lächelt der aus Baden stammende Mann. Zunehmen soll bei den Ordensbrüdern in der Fastenzeit nur der Geist.
Der Spätberufene
Für Josua ist diese Fastenzeit eine ganz besondere. Es ist seine erste, seit er, der Spätberufene, im August vergangenen Jahres die ewige Profess ablegte. In die Mehrerau verschlug es den früheren Kaufmann erstmals 2009. Er machte Urlaub am Bodensee. „Ich war damals mit meinem Leben nicht mehr zufrieden. Ich arbeitete als Einkäufer für ein Handelsunternehmen. Alles war auf Profit ausgerichtet. Das gefiel mir nicht.“
Der damalige Michael gelangte als Besucher in die Klosterkirche. Er begegnete Kantor Amadeus, stellte Fragen, war bald fasziniert von Spiritualität und Lebensweise der Zisterzienser. „Man lud mich zum Ministrieren ein, was ich gerne annahm. Fortan verbrachte ich jeden Urlaub als Gast im Kloster.“ Im Februar 2011 beschloss Michael, dem Orden beizutreten. Im April folgte die Kandidatur, es folgte die Profess auf Zeit, schließlich die ewige Profess.
Seine Mutter tat sich schwer mit Michaels Entscheidung, seine Schwester verstand ihn bald. Heute ist der bekennende Borussia-Mönchengladbach-Fan, der den Ordensnamen Josua bekam, aber auch diese Sorge los. „Mutter versteht mich. Sie kommt mich gelegentlich besuchen und ich fahre in meinem Urlaub stets zu ihr nach Hause.“
Die Herausforderung
Auch in der Fastenzeit nimmt der jüngste Mönch des Klosters freilich seine weltlichen Aufgaben wahr. „Ich bin Präfekt in der Schule. Das macht mir viel Freude“, erklärt Josua. Optimistisch sieht er diesbezüglich seiner Zukunft in der Mehrerau entgegen. „Ab kommendem Schuljahr haben wir ja erstmals Mädchen in der Schule. Das wird sehr spannend“, freut er sich auf die Herausforderung.
Für mich bedeutet die Fastenzeit eine Neuausrichtung.
frater Josua
