Volksanwälte kritisieren Mindestsicherungspläne

Vorarlberg / 15.02.2016 • 19:06 Uhr
Die Volksanwälte Günther Kräuter (links) und Florian Bachmayr-Heyda sind sich in Fragen der Mindestsicherung einig. Foto: VN/Paulitsch
Die Volksanwälte Günther Kräuter (links) und Florian Bachmayr-Heyda sind sich in Fragen der Mindestsicherung einig. Foto: VN/Paulitsch

Zwei Volksanwälte halten nichts davon, die Mindestsicherung zu deckeln und zu kürzen.

Bregenz. Bundesvolksanwalt Günther Kräuter war bei Landesvolksanwalt Florian Bachmayr-Heyda zu Gast. Im gemeinsamen Interview lassen sie kein gutes Haar an den angedachten Änderungen der Mindestsicherung. Auch Vorarlbergs Roma-Politik kritisieren sie scharf.

Haben Beschwerden bei der Volksanwaltschaft zugenommen?

Kräuter: In schwierigen Zeiten bekommen wir mehr Beschwerden. Zum Beispiel in Sozialversicherungsfragen, beim Pflegegeld oder beim Thema Mindestsicherung.

Worüber beschweren sich die Menschen bei der Mindestsicherung?

Kräuter: Meistens geht es um falsche Berechnungen. Was uns grundsätzlich stört, sind die verschiedenen Herangehensweisen in den Bundesländern. Die Volksanwaltschaft fordert schon lange eine bundeseinheitliche Regelung.

Einige Politiker wollen die Mindestsicherung bei 1500 Euro pro Haushalt begrenzen. Was halten Sie davon?

Kräuter: Das ist keine sinnvolle Überlegung. Mit einer Deckelung treffe ich vor allem Familien und Kinder, was Folgeerscheinungen hätte. Ausbildungschancen würden sinken, medizinische Versorgung und gesunde Ernährung würden schwieriger werden. Schon rein wirtschaftlich hätte das negative Folgen.

Bachmayr-Heyda: Ich halte das für einen ganz schlechten und falschen Ansatz. Das Ziel der Mindestsicherung ist es, den Leuten die Möglichkeit zu geben, in ein neues Leben zu starten und wieder auf die Beine zu kommen. Wir müssen darüber reden, wie wir diese Ziele erreichen. Und nicht, wie wir ein paar Euro sparen.

Die ÖVP will Konventionsflüchtlingen die Mindestsicherung kürzen. Ist das juristisch möglich?

Kräuter: Mein juristisches Expertenteam hat das eindeutig bewertet. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte dürfen nicht anders behandelt werden. Wir sind in der grotesken Situation, dass wir das Respektieren von Gesetzen einfordern müssen.

Bachmayr-Heyda: Es kommt mir manchmal so vor, als würde man in der Politik in guten Zeiten viel versprechen, Dinge in die Verfassung schreiben, internationale Übereinkünfte treffen und Sonntagsreden halten. Aber im Krisenfall, für den man die Vereinbarung geschlossen hat, fühlt man sich nicht mehr daran gebunden. Vorarlberg drohte sogar, die 15a-Vereinbarung mit dem Bund aufzukündigen. Die Rechtsfolgen hat sich niemand überlegt. Dass man bestehende Verträge kündigt, Verfassungsrecht bricht und internationale Vereinbarungen nicht mehr einhalten will, finde ich wirklich tragisch.

Kräuter: Es ist ein Tabubruch. Wenn über solche Bestimmungen hinweggegangen wird, muss man befürchten, dass sich das fortsetzt. Wer kommt als Nächstes dran? Menschen mit Behinderung? Pflegebedürftige? Plötzlich heißt es: Na gut, dann gilt die UN-Behindertenrechtskonvention diesmal nicht. Und nächstes Mal gilt die Kinderrechtskonvention nicht.

Auch im Umgang mit Armutsreisenden gibt es Vereinbarungen. Hat sich Vorarlberg daran gehalten?

Bachmayr-Heyda: Zeltlager zu räumen war sicher rechtens. Weil die Roma ohne Erlaubnis der Grundeigentümer ihre Zelte errichtet haben. Ich habe zwar darum gebeten, dass man mich vor einer Räumung verständigt, was nicht passiert ist. Aber das ist ein anderes Thema. Was mich schockiert, sind diese weitreichenden Campingverbote. Man verbietet allen Vorarlbergern, über einen längeren Zeitraum im eigenen Garten ein Zelt aufzustellen. Das ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht nach Eigentum.

Ist das Bettelverbot rechtens?

Bachmayr-Heyda: Es wurde sehr stark kontrolliert. Das Landesverwaltungsgericht hat die meisten angefochtenen Urteile auch bestätigt. In Bludenz herrscht fast in der ganzen Stadt ein Bettelverbot. Ich glaube nicht, dass das verfassungskonform ist. Und über die Integration wird erst gar nicht gesprochen.

Das Romano Centro in Wien warf der Vorarlberger Politik Rassismus vor.

Bachmayr-Heyda: Da ging es vor allem um die Sprache. Es wurde pauschal von einem „Roma-Problem“ gesprochen. Niemand würde heute von einem „Juden-Problem“ oder „Türken-Problem“ reden. Das ist Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft. Ich glaube, das Romano Centro hat recht.

Hat die Volksanwaltschaft ein strenges Jahr 2016 vor sich?

Kräuter: Eher Jahre. Wir versuchen, der Fels in der Brandung zu sein, so fundamentale Dinge wie den Respekt vor der Rechtsordnung einzumahnen. Das wird jetzt besonders gefordert sein.

Bachmayr-Heyda: Es besorgt mich, dass es nur eine Krise braucht, um alles, was wir uns über Jahrtausende an Standards festgelegt haben, infrage zu stellen. Frauenrechte, Kinderrechte, Datenschutz, die Ärmsten absichern. Das haben wir in unzähligen Konferenzen und Konventionen entwickelt, jetzt gilt es plötzlich nicht mehr? Das ist dramatisch.

Zur Person

Günther Kräuter

Geboren: 30. Dezember 1956

Laufbahn: Von 1991 bis 2013 für die SPÖ im Nationalrat. Von 2008 bis 2013 SPÖ-Bundesgeschäftsführer. Seit 2013 Volksanwalt und zuständig für Soziales, Pflege, Gesundheit, Jugend und Familie.

Florian Bachmayr-Heyda

Geboren: 10. September 1964

Laufbahn: Jus-Studium in Wien, zuletzt Leiter Sachwalterschaftsabteilung des Instituts für Sozialdienste (IfS). Bachmayr-Heyda folgte im Herbst 2015 Gabriele Strele als Landesvolksanwalt nach.