Kommentar: 1800 Opfer?!
Fast jede zweite Führerscheinprüfung im Land endete im vergangenen Jahr mit „Nicht Bestanden“. Die Verwunderung darüber ist schon länger groß. Der damalige Verkehrslandesrat Marco Tittler (ÖVP) hat 2024 eine Arbeitsgruppe angekündigt und offenbar auch selbst ermittelt, herausgekommen ist aber nichts Wahrnehmbares. Vielleicht wegen des Landtagswahlkampfes. Erst die VN haben jetzt aufgedeckt, dass einzelne Prüfer, die damit Geld verdient haben, Kandidaten mutmaßlich willkürlich durchfallen lassen haben.
Noch muss man vorsichtig sein, es aber nicht vom Tisch wischen: Von insgesamt gut 8000 Führerschein-B-Prüfungen sind im Vorjahr rund 3800 negativ ausgegangen. Wenn es anteilsmäßig ähnlich wenige gewesen wären wie in Tirol mit einem Viertel, hätte es sich nur um etwa 2000 gehandelt. Anders formuliert: 1800 Personen könnte hierzulande Unrecht geschehen sein. Und wenn es 1000 oder 500 gewesen sind, sind es noch immer ebenso viele zu viel.
Es geht hier um eine Masse meist junger Leute, die einen korrupten Staat erlebt haben. Es untergräbt ihr Vertrauen, fair behandelt zu werden. Es stärkt ihr Misstrauen ins System, also in die Verwaltung und in die Politik, die dafür zu sorgen hat, dass erstere funktioniert, wie sie zu funktionieren hat.
In anderen Bundesländern mag man sich nach Testaments- und Wirtschafsbundaffäre denken: „Schon wieder die Vorarlberger. Von wegen sauber, hahaha!“ Es lässt jedoch tief blicken, dass ein Bericht, den der Rechnungshof jüngst veröffentlicht hat und der die Verhältnisse im Verkehrsministerium sowie im Burgenland und in Oberösterreich beleuchtet, im Großen und Ganzen nicht einmal ignoriert wird. Obwohl darauf hingewiesen wird, dass Nebentätigkeiten von Beamten kritisch sind; dass in den untersuchten Körperschaften 36 Mitarbeiter zusammen 326.100 Euro mit Führerscheinprüfungen verdient haben im Jahr 2022; und dass Auszahlungen ohne prozesshafte Kontrollen erfolgt sind. Spich: Es scheint flächendeckend Missstände zu geben.
Da und dort mag Besserung zugesagt worden sein, wie es in Vorarlberg zuletzt Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und Statthalter Christof Bitschi (FPÖ) getan haben. Schon bisher hätte aber alles korrekt ablaufen müssen, hätte man sich laut Fahrprüfungsverordnung auch darum kümmern müssen. Insofern wäre es naheliegend, von Dritten alles ausleuchten und klären zu lassen, was zu tun ist. Es wäre eine klassische parlamentarische Aufgabe, könnte aber auch Job einer unabhängigen Kommission sein.
Parallel dazu sollte das Ganze eine Ermunterung sein, Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat zu stärken. Viel wäre dazu nicht nötig. Es gibt zum Beispiel Volksanwaltschaften. Der Punkt ist: Wenn, sagen wir, eine Fahrschülerin das Gefühl hat, Opfer eines korrupten Prüfers zu sein, muss es selbstverständlich für sie sein, das zu melden. Und zu wissen, dass dem nachgegangen wird. Jedenfalls, wenn es dutzende, ja hunderte ähnliche Meldungen gibt. Vielleicht braucht es dazu lediglich Ermunterungen sowie ein paar Mitarbeiter und Möglichkeiten mehr für Volksanwaltschaften. Daran sollte es jedoch nicht scheitern dürfen.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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