„Darüber müssen wir gar nicht reden“

Vorarlberg / 28.03.2016 • 18:38 Uhr
Julian Fässler (links) und Michael Ritsch hatten zahlreiche Zahlen parat.  Foto: VN/Hofmeister
Julian Fässler (links) und Michael Ritsch hatten zahlreiche Zahlen parat. Foto: VN/Hofmeister

Michael Ritsch und Julian Fässler sind sich beim Thema Pensionen kaum einig.

Bregenz. Vor Kurzem präsentierte die Bundesregierung ihre Vorstellung einer Pensionsreform und erntete Kritik aus den eigenen Landesparteien. Von SPÖ-Chef Michael Ritsch, weil er der Meinung ist, es brauche keine Reformen. Wenn, dann nur Verbesserungen: Beispielsweise fordert er, die schlechtesten zehn Verdienstjahre bei der Berechnung der Pensionshöhe auszuklammern. ÖVP-Jugendsprecher Julian Fässler geht es hingegen nicht weit genug. Er spricht von einem Reförmchen. Die VN baten beide zu einer Diskussion, die schnell Fahrt aufnahm: ein Gespräch über Milliarden von Euro, Pensionsautomatismen und Frauen.

Julian Fässler ist 30 Jahre alt. Wann geht er in Pension?

Ritsch: Mit 65 Jahren. Das Problem ist die Lebensdurchrechnung, die seine damalige Bundesregierung beschlossen hat. Früher wurde die Pension mit den besten 15 Jahren berechnet, heute sind es alle 45 Beitragsjahre. Junge Menschen, die eine lange Ausbildung machen, kommen nicht mehr auf 80 Prozent der Lebensverdienstsumme.

Fässler: Ich werde eine Pension bekommen. Die Frage ist: Wie hoch wird sie sein, und wann werde ich in Pension gehen? Da wird das vergangene Pensionsreförmchen nicht ausreichen. Die Durchrechnung hat den Zweck gehabt, dass die Finanzierung irgendwie im Rahmen bleibt. Wir können es uns schlicht nicht leisten, da zurückzugehen.

Ritsch: Das sehe ich ganz anders. Schon vor 60 Jahren wollte man uns weismachen, die Pensionen wären nicht sicher. Damals gab es 1,2 Millionen Pensionisten. Mittlerweile sind es 2,5 Millionen. Spannend ist, dass sich bei den Bundeszuschüssen nichts verändert hat. Es werden 38,7 Milliarden Euro ausbezahlt. In den letzten Jahren ist das Verhältnis zum BIP (Bruttoinlandsprodukt, Anm.) gleich geblieben. Alle Prognosen zeigen, dass sich das nicht ändert.

Fässler: Das ist ein Blick in die Glaskugel. Wir wissen noch gar nicht, wie sich das BIP entwickelt. Wir haben mehr Schulden denn je. Die Bundesbeiträge werden weiter steigen, weil jetzt noch die „Babyboomer“-Generation in Pension geht. Das sind wiederum Menschen, die uns auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Wir müssen auf den Bundesbeitrag schauen, der liegt derzeit bei …

Ritsch: … 10,4 Milliarden Euro.

Fässler: Nein. Mit den Beamtenpensionen ist er bei knapp 23 Milliarden Euro. Wir müssen uns überlegen, wie wir diesen Betrag zumindest einfrieren können. Da gibt es mehrere heiße Eisen, die nicht angegriffen wurden: Bundeszuschuss, Frauenpension, Antrittsalter.

Ritsch: Ich bin froh, dass diese Eisen verhindert wurden. Jede Reform muss eine Verbesserung sein. Ich halte nichts von Verschlechterungen, wenn man weiß, dass von den 38,7 Milliarden Euro, die die Pensionsversicherung auszahlt, 10,4 Milliarden Steuermittel sind.

Fässler: Es sind 23 Milliarden, nicht zehn.

Ritsch: Wir reden nur von der gesetzlichen Pensionsversicherung, weil um die geht es. Von zehn Milliarden Euro fließen vier Milliarden als Steuern an den Finanzminister zurück, drei Milliarden in die Krankenversicherung. Der effektive Bundeszuschuss liegt also bei drei Milliarden Euro. Das ist eine Säule des Pensionssystems, die wir uns als Staat leisten.

Fässler: Wir können bei jedem Staatszuschuss sagen, dass wir uns den leisten. Das geht halt auf Kosten der kommenden Generationen. Investitionen wie in Schulen gehen dann nicht mehr.

Ritsch: Stimmt nicht. Alle Berechnungen zeigen, dass der Anteil des Bundeszuschusses am BIP bis 2060 sogar leicht rückläufig ist.

Fässler: Bis 2040 geht uns der Anteil durch die Decke.

Ritsch: Von 6 auf 6,8 Prozent.

Fässler: Das ist das Fünffache des Universitätsbudgets in Österreich. Das ist sehr viel Geld. In den 70er-Jahren hat man länger gearbeitet und die Pension war kürzer. Jetzt werden wir Gott sei Dank älter, statt acht Jahren dauert eine Pension im Schnitt 22 Jahre. Aber das System ist noch auf dem alten Stand.

Ritsch: Die Lebenserwartung für 65-Jährige ist von 12,8 Jahren im Jahr 1900 auf 18,1 Jahre im Jahr 2012 gestiegen. Also um 40 Prozent. Die prognostizierte Erwartung bis ins Jahr 2050 liegt bei 23 Jahren, das ist eine Steigerung von 27 Prozent.

Fässler: Das sind drei Monate pro Jahr.

Ritsch: Die 40-prozentige Steigerung haben wir verkraftet. Nun sollen wir 27 Prozent nicht verkraften?

Fässler: Wir verkraften das Pensionssystem schon seit den 70er-Jahren nicht mehr, weil es nicht für die heutigen Zahlen ausgelegt ist.

Ritsch: Die Beiträge des Bundes sind gleichbleibend.

Fässler: Sie haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt.

Ritsch: In 40 Jahren sogar verdreifacht.

Fässler: Dann können Sie nicht sagen, sie sind gleichgeblieben?

Ritsch: Es hat sich auch die Anzahl der Pensionisten verdoppelt. Die Frage ist: Wenn ich ein System habe, das teilweise staatlich finanziert ist, leiste ich mir das? Bei der ÖVP sehe ich den Hang, die Menschen zu privaten Versicherungen zu drängen.

Fässler: Bei den Diskussionen vor der Reform haben wir nicht über die private Pensionsvorsorge gesprochen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir eine Automatik herbekommen.

Ritsch: Eine Pensionsautomatik wäre das Allerletzte. Sie würde ältere Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben.

Fässler: Das ist jetzt sehr polemisch. Klar müssen wir gleichzeitig Anreize am Arbeitsmarkt schaffen. Aber wir können doch nicht sagen, dass eine Automatik gleichzeitig zu Arbeitslosigkeit führt.

Ritsch: Eine Automatik heißt, dass automatisch, ohne Beratung, das Antrittsalter nach oben gesetzt wird. Ohne Fakten und Zahlen.

Fässler: Nur mit Fakten und Zahlen. Sie orientiert sich an der Lebenserwartung, da können Sie nicht sagen, fernab von Zahlen.

Ist die Pension da, um Arbeitslosigkeit zu verhindern?

Ritsch: Die Pension ist da, den Leuten eine gewisse Wertschätzung zukommen zu lassen. Wenn jemand 40 oder 42 Jahre gearbeitet hat, bin ich der Meinung, er soll in Pension gehen, falls er keinen Job mehr bekommt. Soll er etwa drei Jahre in die Mindestsicherung?

Fässler: Nein. Wir sind in der Arbeitsmarktpolitik voll gefordert, jedem eine Chance zu verschaffen. Durch Qualifizierungen zum Beispiel. Wir können ja nicht jeden in Pension schicken, sobald er keinen Job mehr findet.

Ritsch: So ist es ja nicht.

Fässler: Damit gebe ich die Arbeitsmarktpolitik auf. Ja, wir haben Probleme mit älteren Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Das müssen wir angehen.

Können wir noch über das Frauenantrittsalter sprechen?

Ritsch: Darüber müssen wir Gott sei Dank nicht mehr reden.

Fässler: (lacht)

Ritsch: Das Thema ist vom Tisch. Die Koalition hat einen Zeitpunkt vereinbart, bis zu dem das Alter angeglichen sein wird. Mit der Lebensdurchrechnung und längerer Arbeitszeit hätten Frauen noch weniger Pension.

Fässler: Die Pension wäre natürlich höher.

Ritsch: Da gibt’s keine Gesprächsbasis.

Fässler: Ja, leider. Es ist so, dass die letzten Erwerbsjahre die lukrativsten sind. Frauen können daran nicht partizipieren, werden früh von Weiterbildungsmaßnahmen ausgeschlossen.

Wo sehen Sie den grundsätzlichen Unterschied Ihrer Parteien bei diesem Thema?

Ritsch: Es gibt den Ansatz der ÖVP, dass die Menschen immer weniger Pension bekommen sollen. Und es gibt den Ansatz der SPÖ, dass jeder Mensch 80 Prozent seines Lohns in der Pension erhalten sollte.

Fässler: Die ÖVP will, dass die Pension zum Leben ausreicht. Aber sie muss langfristig finanzierbar sein. Wenn jetzt schon auf zehn Erwerbstätige fünf Pensionisten kommen, und in 15 Jahren sind es sieben, wissen wir, dass es sich in Zukunft nicht ausgehen wird.

Ritsch: Das stimmt einfach nicht. Die Entwicklung am Anteil des BIP wird 2060 vom Niveau so sein wie jetzt.

Fässler: Wir können mit den Daten und Fakten rechnen, die wir heute haben. Wir können aber nicht das Wirtschaftswachstum bis 2060 vorhersagen.

Ritsch: Wir wissen auch nicht, ob eine Seuche kommt und einen Teil der Bevölkerung hinwegrafft.

Fässler: Okay, das ist ein anderes Niveau, auf dem will ich nicht diskutieren.

Ritsch: Ich glaube, da kommen wir zwei nicht zusammen.

Fässler: Darum sind wir ja auch zu diesem Gespräch eingeladen worden (lacht).

Welche drei Themen müssen angegangen werden, damit die Pensionen gesichert sind?

Fässler: Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die dazu führt, dass Menschen länger im Erwerbsleben bleiben. Wir dürfen Frauen nicht früher in Pension schicken. Dann müssen wir auf den Bundeszuschuss achten, dass uns der nicht völlig davonrennt. Und zu guter Letzt, obwohl es ein viertes Thema ist, aber für den Konsens am Schluss: Wir brauchen dringend eine Angleichung der Systeme. Nur so wird es fair.

Ritsch: Es braucht keine Pensionsreform, weil das System gut ist, so wie es ist. Allerdings sollten die zehn schlechtesten Jahre bei der Durchrechnung rausgenommen werden. Auch ich glaube, es sollte eine ASVG für alle Menschen im Land geben. Und, auch das deckt sich mit Herrn Fässler: Wir müssen schauen, dass die Menschen so lange wie möglich arbeiten. Erwerbseinkommen ist immer noch die beste Armutsvorsorge fürs Alter.

Fässler: So ist es.

Zur Person

Julian Fässler,

ist ÖVP-Jugendsprecher im Vorarlberger Landtag.

Geboren: 9. Februar 1986

Zivilberuf: Organisationsentwickler bei der Firma Alpla in Hard.

 

Michael Ritsch,

ist SPÖ-Jugendsprecher im Vorarlberger Landtag, zudem Klubobmann und Parteichef.

Geboren: 9. Juli 1968

Zivilberuf: Gewerkschaftssekretär, derzeit karenziert.