Vorschriften
Manche Geschichten kann man nicht erfinden: Nachdem das Gesetz über die Verschiebung der Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten zwar von der klaren Mehrheit der Parlamentsparteien befürwortet wird, aber formell noch nicht beschlossen wurde, befindet sich das Innenministerium in einer (weiteren) Zwickmühle. Das Gesetz verlangt nämlich, dass die Wahlunterlagen von den Gemeinden mindestens 13 Tage vor der Wahl an die Wahlberechtigten versendet werden. Da die für den 2. Oktober angesetzte Stichwahl erst mit dem noch nicht beschlossenen Gesetz verschoben wird, müssten die Gemeinden jetzt die Wahlunterlagen versenden, was aber offenkundiger Unsinn wäre. In einem Schreiben äußerte sich das Innenministerium allerdings, dass derzeit mangels Rechtsgrundlage ein Stopp der Versendung von amtlichen Wahlinformationen nicht angeordnet werden könne. Mit anderen Worten: Die Gemeinden sollen, obwohl buchstäblich die ganze Welt weiß, dass die Stichwahl in Österreich nicht am 2. Oktober stattfinden wird, die Wahlunterlagen trotzdem verschicken.
Das Beispiel zeigt, dass wir in Österreich nicht mit Vorschriften umgehen können. Natürlich ist es die Verpflichtung der Gemeinden, die Wahlunterlagen zeitgerecht zu versenden. Aber wenn man sicher weiß, dass die Wahl nicht stattfinden wird, hat es einfach keinen Sinn, das Gesetz zu befolgen. Richtigerweise hat der Österreichische Gemeindebund den Gemeinden vorgeschlagen, die Regelung zu ignorieren.
Wer sich übrigens die Mühe macht, die gesetzlichen Bestimmungen über die Gestaltung der Wahlkarten zu lesen, den kann es nicht überraschen, dass die österreichische Praxis, jede Einzelheit zu regeln und den Behörden und den Bürgern möglichst wenig Spielräume zu belassen, früher oder später gründlich schiefgehen musste. Ich habe schon anlässlich des ersten Wahlgangs der Stichwahl geschrieben, dass im österreichischen Bundesgesetz der Wahlvorgang etwa zehnmal so stark reglementiert ist wie im Vergleich etwa in Liechtenstein.
Es ist ein Ärgernis: Wir haben wesentlich mehr und kompliziertere Gesetze und Vorschriften als viele andere Länder. Die Reglementierungswut und der Gehorsam auch gegenüber sinnlosen Vorschriften sollten wenigstens nicht zur Ausschaltung jeder Vernunft führen.
Wir haben wesentlich mehr und kompliziertere Gesetze und Vorschriften als viele andere Länder.
peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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