Kampf der Radikalisierung in Haft

Vorarlberg / 24.10.2016 • 19:44 Uhr
Demir: „Sonst lernen sie vom Zellennachbarn.“ VN/Stiplovsek
Demir: „Sonst lernen sie vom Zellennachbarn.“ VN/Stiplovsek

Imam Ramazan Demir fordert professionelle Seelsorger in den Gefängnissen.

Feldkirch. Ein Mangel an interreligiösem Verständnis kann Ramazan Demir bei Gott nicht vorgeworfen werden. Im Jahr 2014 begab er sich zusammen mit dem Rabbiner Schlomo Hofmeister auf eine Reise nach Jerusalem; stand mit ihm vor der Klagemauer, besuchte Siedlungen in Palästina. Ramazan Demir ist 30 Jahre alt, muslimischer Geistlicher, islamischer Religionslehrer und Seelsorger in Gefängnissen. Er ist kein Antisemit, respektiert Frauen und das Gesetz, hält nichts von Ehrenmord und Zwangs­ehen. „Das alles hat mit dem Islam nichts zu tun“, betont Demir im VN-Gespräch. Das möchte er jungen Muslimen in Gefängnissen weitergeben. Noch gebe es eine geringe Anzahl an radikalisierten Insassen, doch das könnte sich ändern. Es mangle an hauptberufliche professionellen islamischen Seelsorgern in den Haftanstalten.

Unterricht vom Nachbarn

8800 Menschen sitzen in Österreich derzeit in Gefängnissen. 1750 davon sind Muslime. „Nur wenige sind radikal. Aber die Zahl jener, die mit radikalem Gedankengut infiziert werden, nimmt zu“, beschreibt Demir die Situation. Er selbst ist in Österreichs größter Justizvollzugsanstalt, der Wiener Josefstadt, ehrenamtlicher Seelsorger. Drei Stunden pro Woche schafft er es, zusammen mit drei anderen Seelsorgern kommt er damit auf zwölf Stunden bei über 300 Muslimen. In der Feldkircher JVA leben Demir zufolge etwa 30 Muslime, bei zwei ehrenamtlichen Seelsorgern. Er kritisiert: „Das Bedürfnis nach Religion in Haft nimmt stetig zu. Doch wo stillen die Menschen ihre Bedürfnisse, wenn es keine professionelle Begleitung gibt? Beim Zellennachbarn, der den Koran nicht kennt und ihnen seine Interpretation eintrichtert. So infiziert er sich mit radikalem Gedankengut.“

Im schlimmsten Fall ist er einer der 270 Österreicher, die in den Krieg nach Syrien zogen. Die jungen Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen, wenn sie nach Syrien reisen, erläutert Demir: „Sie glauben, sie gehen ins Schlaraffenland. Hier haben sie nichts, dort erwartet sie eine Villa, mehrere Frauen, ein gutes Leben. Aber so ist das natürlich nicht.“ Wenn er als Imam mit den Insassen über den IS spreche, sei dies eben etwas anderes, als wenn dies ein Justizwachebeamter tut. Er entwaffnet die IS-Propaganda mit einer einfachen Gegenfrage: „Wo steht das im Koran?“ Noch habe ihm niemand eine entsprechende Passage liefern können. „Zwangsehen oder Ehrenmorde, das ist alles nicht islamisch. Da geht es um Tradition und Kultur.“ Er kenne kein Land, dass er als islamisches Land bezeichnen würde. Im Iran etwa sei verboten, ohne Kopftuch aus dem Haus zu gehen: „Das ist unislamisch!“

Mit Gesprächen über den Koran oder wie man richtig betet, könne das Bedürfnis nach Religion gestillt und damit die Radikalisierungsgefahr gebannt werden. Deshalb benötige es Seelsorger in Gefängnissen. Demir fordert, dass der Staat islamische Seelsorger anstellt. „Es gibt 570 islamische Religionslehrer. Warum gehen sich nicht noch zehn Seelsorger aus?“, fragt er.

Dialog muss her

Seelsorge sei zudem ein Beitrag zur Integration, schließlich sei der Islam die Religion des Friedens und des Dialogs. Somit könnten über den Koran Vorurteile und Ängste abgebaut werden – was Demir auch von der anderen Seite fordert: „Diskriminierung und Ausgrenzung führt zu Radikalisierung. Integration ist ein beidseitiger Prozess.“ Er stelle außerdem fest, dass zwischen den Glaubensgemeinschaften – er schließt Atheisten mit ein – zu wenig gesprochen werde. Es brauche mehr Dialog. Ramazan Demir weiß, wovon er spricht. Immerhin besuchte er schon die Klagemauer. Als Imam.

Zur Person

Ramazan Demir

Imam, Koordinator zur Fortbildung islamischer Religionslehrer am KPH, Religionslehrer, Generalsekretär der islamischen Gefängnisseelsorger. Masterarbeit zum Thema „Junge muslimische Häftlinge in österreichischen Justizanstalten und die Bedeutung der Islamischen Gefängnisseelsorge“

Geboren: Jahrgang 1986